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Darüber hinaus brachte eine dem Leben innewohnende Kraft immer komplexere Or-
ganismen hervor, die auf der Entwicklungsleiter des Lebens auf immer höheren Stufen
standen. Lamarck nannte als Quelle der Kraft des Lebens »den erhabenen Autor«, der
»eine Ordnung der Dinge [schuf], die alles, was wir sehen, und alles, was existiert und
was wir nicht kennen, nacheinander ins Leben treten ließ«. [81] Er war wie Erasmus Dar-
win ein romantischer Deist. Das gilt auch für Robert Chambers, der die Idee der pro-
gressiven Evolution in seinem 1844 anonym veröffentlichten Beststeller Vestiges of the
Natural History of Creation (Natürliche Geschichte der Schöpfung des Weltalls, der Erde
und der auf ihr befindlichen Organismen) populär machte. Alles in der Natur, sagte er,
schreite gemäß einem gottgegebenen »Gesetz der Schöpfung« höheren Zuständen ent-
gegen. [82] Sein Werk war unter religiösen ebenso wie unter wissenschaftlichen Gesicht-
spunkten umstritten, sagte aber - wie Lamarcks Theorie - den Atheisten zu, weil es die
Notwendigkeit eines göttlichen Designers umging.
Doch Chambers, Lamarck und Erasmus Darwin entzogen nicht nur der mechan-
istischen Theologie die Grundlage, sondern - und vielleicht ohne es zu merken - auch der
mechanistischen Theorie des Lebens. Unbelebte Maschinen können nicht die Kraft des
Lebens in sich tragen, sie können nicht schöpferisch sein oder sich auf irgendeine Weise
selbst verbessern. Die Theorie der schrittweisen Evolution entmystifizierte die Schöp-
ferkraft Gottes, weil sie die Evolution selbst zum Mysterium erhob.
Charles Darwins und Alfred Russel Wallaces Theorie der Evolution durch natürliche
Zuchtwahl (1858) unternahm nun die Entmystifizierung der Evolution. Die Natürliche
Auslese war aus ihrer Sicht blind und unpersönlich und bedurfte keines göttlichen
Wirkens. Sie merzte Organismen aus, die nicht lebenstüchtig waren, und begünstigte die
besser angepassten. Der Untertitel von Darwins Über die Entstehung der Arten durch
natürliche Zuchtwahl lautete Die Erhaltung der begünstigten Rassen im Kampfe um's Da-
sein . Das Schöpferische lag jetzt in den Tieren und Pflanzen selbst. Sie veränderten sich
spontan und passten sich neuen Gegebenheiten an.
Darwin gab keine Erklärung für diese schöpferische Kraft. Seine Theorie stellte jedoch
eine Absage an den Designer-Gott der mechanistischen Theologie dar, und wie sein
Großvater schrieb er alle Kreativität der Natur zu: Die Natur selbst ließ den Baum des
Lebens wachsen und sich verzweigen. Vermöge ihrer unbändigen Fruchtbarkeit, ihrer
spontanen Abwandlung und ihrer Kräfte der Auslese vermochte sie all das selbst, was
Paley als Gottes Werk ansah. Diese Natur war kein unbelebtes mechanisches Räderwerk
nach Art der Himmelsphysik, sondern durch und durch lebendig und schöpferisch. Dar-
win entschuldigte sich sogar für seine Ausdrucksweise: »Der Kürze halber spreche ich
mitunter von der natürlichen Auslese wie von einer intelligenten Kraft … Auch habe ich
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