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Die Göttinnen der Evolution
Einer der Pioniere des Evolutionsdenkens war Charles Darwins Großvater Erasmus Dar-
win, dem es darum zu tun war, die Natur mehr in den Mittelpunkt und Gott mehr an
den Rand zu rücken. [78] Die spontane Evolution der Pflanzen und Tiere erschütterte
die Naturtheologie und die Lehre vom Designer-Gott in ihren Grundfesten. Wenn die
Natur selbst neue Lebensformen hervorbrachte, brauchte man keinen Gott, der sie »en-
twarf«. Erasmus Darwin nahm an, Gott habe das Leben oder die Natur von Anfang an
mit Kreativität begabt, die sich dann selbst und ohne göttliche Anleitung oder göttliches
Eingreifen ihren Weg suchte. In seinem Buch Zoonomia von 1794 ( Zoonomie , 1799) stellt
er eine rhetorische Frage:
Wäre es eine gar zu kühne Vorstellung, dass alle warmblütigen Tiere aus einer einzi-
gen lebendigen Faser hervorgingen, welcher die große Erste Ursache Tiernatur ver-
lieh und zugleich die Befähigung, neue Teile auszubilden, mit denen neue Antriebe
verbunden sind, geleitet von Reizen und Empfindungen, Willensregungen und neuen
Verbindungen und derart mit dem Vermögen begabt, sich durch das eigene innere
Wirken immer weiter zu verbessern und die Verbesserungen durch Zeugung an die
Nachkommen weiterzugeben immerdar? [79]
Für Erasmus Darwin war es demnach so, dass sich Lebewesen selbst vervollkommnen
und die Ergebnisse dieses Mühens an die Nachkommen vererben. Auch Jean-Baptiste de
Lamarck vertrat in seinem 1809 erschienenen Buch Philosophie zoologique (Zoologische
Philosophie) die Auffassung, dass Tiere aufgrund von Umweltbedingungen neue körper-
liche Merkmale entwickeln und solche Anpassungen an die Nachkommen vererbt wer-
den. So schreibt er über die Giraffe:
Es ist bekannt, dass dieses Tier, das größte unter den Säugetieren, im Inneren Afri-
kas wohnt und in Gegenden lebt, wo der beinahe immer trockene und kräuterlose
Boden es zwingt, das Laub der Bäume abzufressen und sich beständig anzustrengen,
dasselbe zu erreichen. Aus dieser seit langer Zeit angenommenen Gewohnheit hat
sich ergeben, dass bei den Individuen ihrer Rasse die Vorderbeine länger als die Hin-
terbeine geworden sind und dass ihr Hals sich dermaßen verlängert hat, dass die Gir-
affe, ohne sich auf die Hinterbeine zu stellen, wenn sie ihren Kopf aufrichtet, eine
Höhe von sechs Metern … erreicht. [80]
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