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»unvollständig« seien »oder dubiose Methoden und Hypothesen« zum Hintergrund hät-
ten oder »falsch interpretiert« würden. Die von der Tabakindustrie selbst finanzierten
Forschungen würden neue Hypothesen und Interpretationen erbringen, mit denen man
einen »stattlichen Fundus an wissenschaftlichem Beweismaterial und wissenschaftlichen
Meinungen zugunsten des Produkts« zur Verfügung haben werde. Vor allem werde man
für Sachverständige sorgen, die vor Gericht als Zeugen aussagen konnten.
Diese Strategie war früher schon aufgegangen, und es gab keinen Grund zu der An-
nahme, sie werde in Zukunft nicht mehr funktionieren. Stokes brüstete sich sogar: »Auf-
grund der günstigen wissenschaftlichen Gutachten hat vor Gericht noch kein Kläger je
auch nur einen Penny mit der Behauptung erstritten, das Rauchen verursache Lungen-
krebs oder kardiovaskuläre Schäden.« [589] Diese Strategie führte schließlich zur Nieder-
lage, doch die gerichtliche Klärung wurde endlos verschleppt, die Gesetzgebung zum
Raucherschutz über Jahre behindert.
Die Strategie der Tabakindustrie haben sich zahlreiche andere Industriezweige zu ei-
gen gemacht, um die Verwendung giftiger Stoffe wie Blei, Quecksilber, Vinylchlorid,
Chrom, Benzol, Nickel und vieler weiterer zu verteidigen. David Michaels war gegen
Ende der neunziger Jahre Unterstaatssekretär für Umwelt, Sicherheit und Gesundheit
am Energieministerium der Vereinigten Staaten und verfolgte aus nächster Nähe, wie
Firmeninteressen die Bemühungen um eine behördliche Beryllium-Aufsicht vereitelten.
Beryllium, früher einmal zur Verstärkung von Kernexplosionen eingesetzt, wurde später
überwiegend in elektronischen Geräten und anderen Konsumartikeln verbaut. Nachdem
sich in den vierziger Jahren herausgestellt hatte, dass Beryllium das Lungengewebe
schädigen kann, führte die Atomenergiekommission für die Berylliumbelastung einen
Grenzwert von zwei Mikrogramm pro Kubikmeter Luft ein. Später stellte sich heraus,
dass Menschen auch bei wesentlich geringerer Belastung krank wurden. Als die US -Re-
gierung in den neunziger Jahren eine Neubewertung der Belastungsgrenze einleitete,
feuerte der führende Beryllium-Hersteller Brush Wellman eine ganze Salve von Bericht-
en ab, nach denen die Toxizität von Beryllium wesentlich von der physikalischen Beschaf-
fenheit der Berylliumpartikel bestimmt sei. Deshalb sei eine Entscheidung erst möglich,
wenn man diese Faktoren genauer erfasst habe. Mit dem Argument der »Herstellung-
sunsicherheit« konnte Brush Wellman die Einführung lebensrettender gesetzlicher Au-
flagen verhindern. [590]
Dieses Herumreiten auf für das Big Business unzumutbaren Unsicherheiten ist in-
zwischen selbst ein Big Business geworden. Spezialisierte Produktverteidigungsfirmen
verzerren zunehmend die wissenschaftliche Literatur, indem sie wissenschaftliche
Unsicherheiten kreieren und aufblähen. Damit nehmen sie zugunsten von Umweltver-
schmutzern und Herstellern gefährlicher Produkte Einfluss auf die Politik. Inzwischen ist
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