Biology Reference
In-Depth Information
Der Wissenschaftler als Mensch
Unter den Naturwissenschaftlern, die ich kenne, sind manche rücksichtlos ehrgeizig, an-
dere freundlich und entgegenkommend, es gibt pedantische Langweiler und andere, die
sehr anregend spekulieren können, es gibt Engstirnige und Visionäre und alle nur er-
denklichen Gegensätze: feige und mutig, gewissenhaft und schlampig, ehrlich und auf
Täuschung aus, geheimniskrämerisch und mitteilsam, originell und einfallslos. Kurzum,
es sind Menschen und so unterschiedlich wie Menschen überall.
Wissenschaftssoziologen haben Wissenschaftler in Aktion beobachtet und festgestellt,
dass sie tatsächlich wie andere Menschen sind. Sie sind gesellschaftlichen Kräften
und dem Druck ihrer jeweiligen Gruppe ausgesetzt, sie wünschen sich Anerkennung,
Forschungsmittel und durchaus auch politischen Einfluss. Ihr Erfolg beruht nicht aus-
schließlich auf den von ihnen aufgedeckten Fakten oder der Eleganz der daraus
abgeleiteten Theorien. Fakten sprechen eben nicht für sich. Zum Erfolg benötigen Wis-
senschaftler dann auch noch rhetorisches Geschick, sie müssen Allianzen schmieden und
sich den Rückhalt anderer sichern. [556]
Wie der Wissenschaftshistoriker Thomas Kuhn aufgezeigt hat, wird »normale Wis-
senschaft« innerhalb eines »Paradigmas« gemeinsamer Annahmen und durch Konsens
abgesegneter Vorgehensweisen betrieben. Was nicht ins Bild passt, Anomalien, wird in
der Regel verworfen oder wegerklärt. Wissenschaftler erweisen sich oft als dogmatisch
und voreingenommen, wenn sie mit Ergebnissen oder Ideen konfrontiert werden, die
ihren Überzeugungen widersprechen. Womit sie sich nicht abgeben möchten, das ignor-
ieren sie gern. »Sich blind zu stellen ist das Mittel der Wahl, wenn es um Ideen geht, die
Ärger machen könnten«, bemerken die Wissenschaftssoziologen Harry Collins und Tre-
vor Pinch. [557] »Was ein experimentelles Resultat bedeutet … hängt nicht allein davon ab,
mit welcher Umsicht das Experiment angelegt war und durchgeführt wurde; für seine
Deutung spielt vielmehr auch eine Rolle, was die Leute zu glauben bereit sind.« [558]
Bei naturwissenschaftlichen Disputen sind selten die experimentellen Ergebnisse
selbst entscheidend. Die Fakten können hier nicht für sich sprechen, weil schon keine
Einigkeit darüber besteht, was als Faktum anzusehen ist. Vielleicht war die Methode
fehlerhaft oder die Apparatur ließ zu wünschen übrig oder die Daten wurden falsch in-
terpretiert. Wenn sich dann ein neuer Konsens bildet, flauen solche Dispute ab, und man
einigt sich auf die »richtigen« Resultate, so dass weitere ähnliche Resultate dann leichter
als richtig anerkannt werden.
Search WWH ::




Custom Search