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Dafür ist die Bestimmung der Grundkonstanten ein schönes Beispiel. Wie wir schon
im 3. Kapitel gesehen haben, ging die Lichtgeschwindigkeit c zwischen 1928 und 1945
um zwanzig Kilometer pro Sekunde zurück, und Laboratorien überall auf der Welt
berichteten von Messwerten, die nah am Konsenswert lagen. Als c dann wieder stieg,
lagen die Messwerte aus aller Welt abermals nah am Konsens. Hat sich die Licht-
geschwindigkeit wirklich geändert? Den Daten zufolge ja. Aus theoretischen Gründen
kann sie sich jedoch nicht ändern, sie wird als Grundkonstante angesehen. Folglich kann
mit den Konsenswerten irgendetwas nicht stimmen. Vermutlich haben Wissenschaftler
Messwerte aussortiert, die nicht passten, und die verbleibenden Daten so lange »kor-
rigiert«, bis sie sich den erwarteten Werten annäherten - Folge einer »intellektuellen
Phasenkopplung« (siehe Kapitel 3).
Ein internationales Gremium legte die Lichtgeschwindigkeit 1972 durch eine Defini-
tion fest, und damit waren die peinlichen Schwankungen aus der Welt. Die Messwerte
anderer Konstanten variieren jedoch weiterhin, insbesondere die der universalen Gravit-
ationskonstante G. Schwankt G also wirklich? Auch hier können die Fakten nicht für sich
sprechen, einfach weil die meisten Messungen gar nicht veröffentlicht werden. Innerhalb
eines bestimmten Labors sortieren die Forscher Daten aus, die ihnen unbrauchbar er-
scheinen, und dann bilden sie einen Mittelwert aus ausgewählten Einzelmessungen. Ein
internationales Expertengremium sortiert dann die Daten aus den einzelnen Labors, um
sie schließlich anzupassen und einen Mittelwert zu bilden, der dann zum international
anerkannten »Bestwert« für G wird. Frühere Bestwerte landen in den Archiven der Wis-
senschaft und stauben dort ein. [559]
Wer naturwissenschaftlich Forschung betreibt, der weiß einfach, dass Daten immer
mit Unsicherheiten behaftet sind, dass viel von ihrer Deutung abhängt und jede Methode
ihre Grenzen hat. Wissenschaftler sind es gewohnt, dass ihre Ergebnisse im anonymen
sogenannten Peer-Review-Verfahren von sachkundigen Kollegen genau unter die Lupe
genommen werden. Im Allgemeinen sind ihnen die Ungewissheiten und die Grenzen der
Erkenntnis auf ihrem Fachgebiet deutlich bewusst.
Die Illusion der Objektivität gewinnt ihre Kraft durch Distanz. Man weiß um den Neid
der Biologen, Psychologen und Sozialwissenschaftler auf die Physik, in der es so viel ob-
jektiver und präziser zuzugehen scheint als auf ihrem eigenen so »unordentlichen« Ge-
biet mit all seinen Unwägbarkeiten. Von außen, das heißt aus der Distanz gesehen, er-
scheint die Metrologie - der mit den Grundkonstanten befasste Zweig der Physik - als
eine Oase der Gewissheit. Die Metrologen selbst sagen so etwas nicht. Sie haben mit Sch-
wankungen bei den Messdaten zu kämpfen, sie diskutieren über die Zuverlässigkeit ver-
schiedener Methoden, sie führen Auseinandersetzungen von Labor zu Labor. Sie bringen
es zu höherer numerischer Genauigkeit als Wissenschaftler, die Pflanzen, Ratten oder
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