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»Wenn ich kein Verbrechen begangen habe, warum sollte ich Ihnen meine Tasche zeigen?«
»Um das zu beweisen.« - Aha. Logisch.
Ich hielt ihnen meine Tasche offen hin. Der Jüngere suchte ein wenig darin herum und zog einen dieser
Namensanstecker hervor, wie es sie bei jeder Veranstaltung gibt. Er betrachtete ihn lange nachdenklich.
Das Ding hatte oben einen breiten roten Streifen, auf dem stand: »Medienvertreter«.
»Ach, Sie arbeiten für eine Zeitung?«, fragte der junge Beamte.
»Ja. Wollen Sie meinen Presseausweis sehen?«
Die beiden sahen sich in die Augen.
»Schon gut. Einen schönen Abend noch«, schaltete sich erstmals der ältere Polizist ein.
JapanerredengernundoffenüberdiephysischenUnterschiedezwischenihnenunddenAusländern.Wild-
fremde Leute machen mir auf U-Bahn-Treppen Komplimente: »Sie haben aber lange Beine!«
Die Messtechnikfirma Omron zeigte mir einmal die erste Version eines Computerprogramms, das
menschlichen Gesichtern allerlei anzusehen vermochte: Die Maschinen um uns herum sollen künftig wis-
sen, ob wir lächeln oder eher grimmig gucken, und in welche Richtung wir gerade blicken. Und sollen
auch erkennen können, wie alt wir ungefähr sind. Als ich das erste Mal ins Blickfeld der Kamera mit der
Alterserkennung trat, schätzte mich die Software auf 69 Jahre.
Das erzählte ich Akiko und Kenji. Meine Gesichtsform sei eben völlig anders als die der Japaner,
erklärten sie mir. Die Augen von Europäern lägen von Natur aus tiefer in den Höhlen, behauptete Kenji.
Da die Augen auch bei Senioren einsinken, würde die Software mich für älter halten.
Akiko,dieebennochhalbabwesendinihrHandyversunkenwar,wurdeplötzlichhellwachunddozierte
über Kopfform und international verschiedene Arten der Faltenbildung. »Die Haut von euch Europäern al-
tert ganz anders, der Rechner sieht das sofort.« Das klang verdächtig nach Blödsinn, doch Japaner legen
viel Wert darauf, sich auch physisch irgendwie vom Ausland zu unterscheiden. Sogar und vor allem von
Koreanern und Chinesen.
Deutschland hat für die Japaner etwas ungeheuer Exotisches. »Das Beste an Deutschland sind doch die
Lederhosengruppen«, hatte schonderGastvater beimeiner erstenJapanreise gesagt.DasBildvonfremden
Ländernändertsichebennurlangsam.BisvorgarnichtsolangerZeitgaltDeutschlanddenJapanernnoch
als Hort preußischer Zucht und Arbeitswut. Das Image hat sich zwar gewandelt, hinkt aber trotzdem noch
ein wenig hinterher. In Japan ist gerade das Bild angekommen von einem satten, lahmen Land, in dem die
Geschäfte um halb sieben schließen, niemand Waren nach Hause liefert und die Bahnangestellten sich vor
dem Zugreisenden als Beamte aufspielen. Wo der Staat auch den Faulen ein gutes Leben zahlt. Auf der
Autobahn rasen Porsches, und alle trinken schon mittags Bier aus Krügen mit Deckel.
Viele Japaner stellen sich Deutschland jetzt also als Land vor,das einerseits die Bräuche des Mittelalters
fortführt,indemaberandererseitseineArtSozialismusregiert.InFernsehberichtentauchenaußerRothen-
burg und Neuschwanstein immer noch vor allem die Sozialhilfe und die Handwerkerrolle auf.
Einige Japaner halten uns »Doitsujin« wegen der ständigen Betonung des alten, schmiedeeisernen
Deutschlands für altmodischer und steifer als Amerikaner oder Australier. Akiko war daher geplättet, als
eine deutsche Bekannte ihreinfach ihrWG-Zimmer inBerlin füreine Woche überließ. Ein WG-Leben wie
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