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in Berlin kennt Japan nicht. Generell gehen Japaner mit ihren Wohnungen nicht so locker um. Ihre ehem-
alige Sprachpartnerin hatte Akiko angeboten: »Du kannst gerne kommen, ich selbst bin auf Dienstreise,
aber Maren, meine Mitbewohnerin, lässt dich rein.« Tatsächlich übernachtete Akiko also in einem Zim-
mer, in dem sie nie zuvor gewesen war, und frühstückte morgens in der Küche mit zwei Leuten, die sie
nie zuvor getroffen hatte. »Dabei arbeitet Yvonne doch in der Werbung und könnte sich auch eine richtige
Wohnung leisten«, sagte Akiko. »Und dass sie mich einfach so reingelassen hat, ich hätte ja ihre Briefe
lesen können.«
»Die Briefe sind vermutlich auf Deutsch, da besteht also keine Gefahr«, sagte ich. Akikos Bemühungen
um die deutsche Sprache waren vor kurzem mal wieder auf Anfängerniveau stecken geblieben.
Manchmal fragte ich bei meinen japanischen Bekannten herum, welche berühmten Europäer sie kennen.
Jetzt nicht Beethoven, sondern eher lebende Schauspieler oder Sänger.
»Hugh Grant«, sagte Kenji. »Robbie Williams«, sagte Akiko. »Harry Potter«, sagte Sachiko.
»UndwasistmitLeuten,diekeineEngländersind?«,fragteich.AufDeutschlandwollteichnichtgleich
abzielen und schlug vor: »Spanier? Franzosen?«
»Herr Ikea?«, riet Akiko. »Kannst du das Verhör bitte beenden? Wen sollten wir denn kennen?«
»Ihr habt doch schon mal ›99 Luftballons‹ gehört? Das steckt in jeder Karaokemaschine«, sagte ich.
»Ist das auf Deutsch?«
»Das stammt von Nena.«
»Aber die ist doch aus Amerika, oder?«
»Nein, aus Deutschland. Kennt ihr Angela Merkel?«
»Die war beim G8-Gipfel in Hokkaido.«
Das Zwischenergebnis meiner Forschung: Die meisten meiner japanischen Bekannten kannten ohne
TippsüberhauptkeinelebendenDeutschen.AkikooderLeute,diesonstwiemitDeutschlandzutunhaben,
erreichen nur eine geringfügig höhere Trefferquote.
Dem arbeitslosen Tsuyoshi fiel überhaupt kein Deutscher ein. Er las Nachrichten ausschließlich in dem
Gratismagazin »R25«, das an der U-Bahn auslag. Er gab aber zu, von Merkel und von Hitler gehört
zu haben. Kenji wusste zudem um Josef Ackermann, aber er las auch jeden Morgen die »Japanische
Wirtschaftszeitung«. Immerhin konnte er etwas mit Boris Becker anfangen. Und, Moment, da war doch
was …
»Barakku!«, rief Kenji plötzlich laut.
»Kenji-kun, jetzt aber mal wirklich, Obama ist Amerikaner, kein Europäer«, wies ich ihn milde zurecht.
»Ich meine nicht den Baraku, der Amerika regiert, sondern den Barakku, der Fußball spielen kann.«
Ah. Ballack, nicht Barack. Ja, die Japaner, das »r« und das »l«. Eine ewige Dreiecksbeziehung voller
Missverständnisse. Eine englische Pressemitteilung der Regierungspartei war neulich überschrieben: »On
the Upcoming Erection.«
»Michael Ballack?«
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