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Das Apartmenthaus, in dem ich zu jener Zeit wohnte, stand auf einem Hügel. Ich konnte also durch die
Glasfronten über die Stadt blicken. »Auf einem Hügel« heißt allerdings nicht, dass so etwas wie ein Hü-
gel zu sehen gewesen wäre. Der Verlauf des Geländes ließ sich nur daraus erschließen, dass die Straßen in
meine Richtung eine leichte Steigung annahmen. Vorallem anklaren Abendenkonnteichmeine Gäste mit
dem Ausblick beeindrucken.
Tokios Innenstadt hat keine Skyline wie Hongkong oder Manhattan. Vor mir ausgebreitet lag also ein
eher dunkles Gewirr von Gässchen mit kleinen Häusern. Jedes davon stand einzeln, jedes davon war an-
ders. Es sah so aus, als hätte jemand eine Kiste Bauklötzchen über den Betongrund ausgekippt. Dahinter
erst erhoben sich die Hochhäuser, aus denen die Lampen in den Büros spätabends leuchteten. Auf ihren
Dächern blitzten rote Warnlichter.
Doch jetzt herrschte heller Tag, und leichter Dunst lag bis über den Horizont auf den Häusern und
Wolkenkratzern, so dass der Berg Fuji nicht zu sehen war. Ich riss mich von der Aussicht los, um nach
Ikebukuro zu fahren.
Im Café Pronto warteten nicht nur Miguel und Sachiko auf mich, sondern zu meiner Überraschung auch
Akiko. Pronto war zwar auch eine Kette, aber gut gemacht. Es duftete immer intensiv nach Espresso, und
es wurde Jazz gespielt. »Mensch, lange nicht gesehen«, rief Akiko. »Wirklich, wirklich lange«, sagte ich.
Dann, ganz Akiko, motzte sie erst mal: »Das ist ja mal wieder typisch deutsch, sich hier mit diesen
Riesentüten breitzumachen. Was hast du denn alles gekauft?«
Japaner scheinen trotz ihrer Konsumwut nie viel Gepäck dabeizuhaben. Ich hätte meine Einkäufe in
einem Schließfach verstauen sollen, bevor ich herkam.
»Es ist das erste Mal, dass wir uns treffen. Ich bin Finn«, sagte ich zu Miguels Frau Sachiko.
»Es ist das erste Mal. Schön, dich kennen zu lernen«, antwortete sie.
Da sich alle außer Sachiko und mir schon kannten, unterhielten wir beide uns erst mal über das Wichtig-
ste.SiearbeitetealsArchitektin,warseitzweiJahrenmitMiguelverheiratetundwollteaufkeinenFallmit
ihm nach Kolumbien gehen, das folgerte ich aus ihren zurückhaltenden Äußerungen. »Ich habe schon viel
von dir gehört!«, sagte Sachiko. Ich erzählte ein bisschen von meinem Job und fragte sie, welche Gebäude
in Tokio sie entworfen habe. Alles sichere Themen, für die mein Japanisch auch in der Anfangsphase ganz
gut reichte. Sachiko stellte eine Frage, die ich oft zu hören bekam und die mich jedes Mal aufs Neue er-
staunte: »In welcher Sprache schreibst du denn diese Artikel? Auf Japanisch oder auf Englisch?« Andere
Sprachen scheint es für die Japaner nicht zu geben.
Yusuke sah ich in Tokio zum ersten Mal seit Fukui wieder, als Akiko uns in dem Lokal Zauo zusammen-
brachte. Die Gäste angelten dort ihre Fische mit kurzen Ruten aus einer Wasserlandschaft, die das gesamte
Lokal durchzog. Kenji war auch dabei.
»So schön wie am Atommeiler ist es hier aber nicht«, sagte Akiko.
WirsaßenineinemderEinzelabteilemitTatami,wowirdieBeineineinLochunterdemniedrigenTisch
baumeln ließen. Unsere vier Haken hingen ins Wasser, es biss erst mal nichts an, wir tranken Sapporo-Bier
und aßen dazu gekochte Knabberbohnen und Salat mit Sesam-Tofu. Um uns herum lärmten Kellner und
Familien. Jedes Mal, wenn ein neuer Gast hereinkam, verbreitete sich das »Willkommen« des Personals
durch den ganzen Laden.
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