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Von Akiko wusste ich, dass Yusuke nicht viel mit seinem Job angeben konnte. Er hatte sich seit Fukui
insHeerderAushilfsarbeitermitUni-AbschlusseingereihtundgehörtedamitzurverlorenenGenerationin
Japans Wirtschaftsgeschichte. Wegen der langen Wirtschaftskrise der 90er-Jahre brauchten die Unterneh-
men all die Leute nicht mehr, die von den Hochschulen kamen. Nur noch die ganz ehrgeizigen Studen-
ten fanden eine Stelle. »Ich wollte mir aber nie so einen Stress machen«, redete er seine Jobs schön. Er
arbeitete jetzt seit einigen Jahren bei einem Zustelldienst als Lieferfahrer. Immerhin hat er den Job auch in
der neuen Krise 2009 behalten.
»Huaaaaaahhhhh«, rief Yusuke plötzlich. Bei ihm hatte ein Fisch angebissen. Er zog ihn gekonnt aus
dem Wasser.Kenji undich staunten, Akikoapplaudierte. Vier oderfünfJungenundMädchen vomPerson-
al eilten herbei, beglückwünschten Yusuke undriefen Hurra. Dann musste er mit einem Kellner zusammen
ein lustiges Klatschritual machen, einmal links, einmal rechts, zweimal Mitte. In dem großen Laden rief
ständig irgendwo jemand Hurra, und irgendjemand klatschte dann. Auch hier herrschte mal wieder eine
Atmosphäre wie auf dem Jahrmarkt.
»Wie sollen wir ihn zubereiten lassen?«
»Als Sashimi«, sagte Yusuke.
Der Fisch kam nur wenige Schlucke Bier später aus der Küche zurück. Wir freuten uns über die rohen,
weiß glitzernden Fischscheiben an der halb aufrecht drapierten Flunder. Sie zuckte noch mindestens eine
Minute lang mit dem Schwanz, während der Mund auf- und zuklappte. Wir pickten das Fleisch also prakt-
isch von dem noch lebenden Fisch herunter.
Direkt neben uns erhob sich plötzlich das Geschrei eines kleinen Mädchens. Es weinte und bockte. Die
Eltern wollten gehen, das Kind aber traute sich nicht über die hölzerne Brücke, die zum Ausgang führte.
Denn unter der Brücke lag der künstliche Fluss mit den Fischen, die die Kleine zuvor mit »kawaiiii« beju-
belt hatte, »sind die süüüß«. Danach hatte sie die Fische gegessen. Jetzt beim Rausgehen kombinierte das
Mädchen diese zwei Fakten offensichtlich. Der Vater trug es schließlich über die Brücke, während seine
Tochter sich die Augen fest zuhielt.
Obwohl die Japaner schonihre ganze Hauptstadt als Vergnügungsparkgestalten, finden sie ihre völlige Er-
füllung erst im Disneyland direkt hinter der Grenze zur Nachbarpräfektur. Mit dieser Wahrheit konnte ich
deutsche Japanliebhaber zuverlässig enttäuschen. Disneyland, das ist für unsereins doch sinnleere Ablen-
kung, das ist eine Plastikwelt, da arbeiten Niedriglöhner ohne richtigen Vertrag, und es ist amerikanisch.
Japaner sehen Disneyland ganz anders. Japanische Reisebücher über Tokio fangen gleich mit einem
mehrseitigen Special an: die besten Attraktionen in Disneyland, mit bunten Karten. Alle Reiseführer
machen das, auch der mit den Teeschalen und Schriftrollen auf dem Titelbild - der Unterschied liegt nur in
der Auswahl der Fahrgeschäfte und Shows.
KenjiwollteeineneueröffneteAttraktionsehen,AkikohatteeinenGastausAmerikazuunterhalten,das
Wetter war gut, und wir nahmen uns einen Wochentag frei, um die Schülerhorden zu vermeiden. Mir als
DeutschemkamenjedeStundeneueSchuldgefühlehoch.FehltehiernichtjedeKultur?WardiesnichtVer-
dummungfürdieMassen-eineVerschwendungdesintellektuellen Potenzials,dasdemMenschenzusein-
er Verwirklichung gegeben? »Das ist doch alles nur Konsum!«, stieß ich hervor, als wir in der Wartesch-
lagezu»Pu,derBär«standen.»Ja,sicher«,sagteetwasabwesendAkikoundstudierteweiterdieKartedes
Parks auf der Suche nach der besten Strategie für den heutigen Rundgang. Kenji reagierte gar nicht. Ich
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