Travel Reference
In-Depth Information
ängstlich gestellt. Die Israelis fühlen sich von Deutschland nicht
bedroht. Aber es wird genauer und durchaus kritisch beobachtet,
was in Deutschland passiert. Damit müssen wir leben und damit,
daß jeder Israeli weiß, welche Verbrechen die Deutschen
zwischen 1933 und 1945 an den Juden begangen haben.
Für uns ist die Zahl von sechs Millionen ermordeten Juden
schlicht unvorstellbar. In Israel werden alljährlich am
Holocaust-Gedenktag aus dieser abstrakten Zahl konkrete
Namen. Seit ein paar Jahren nämlich lesen an diesem Tag
Holocaust-Überlebende die Namen von Verwandten vor, die
während des Dritten Reiches umgebracht worden sind. Wenn
zum Beispiel der frühere Premierminister Ytzak Shamir Namen
um Namen vorliest, darunter seine ganze Familie, dann findet
man bestimmt seine Politik nicht besser oder schlechter, aber
man ahnt etwas von der Seelenlage dieses über siebzigjährigen
Mannes, bekommt eine kleine Ahnung von der Dimension des
Grauens, fängt an zu begreifen, was der Holocaust wirklich
bedeutet. Und zwar für das ganze Volk: Augenfällig wird das,
wenn am Vormittag des Holocaust-Gedenktages für zwei
Minuten im ganzen Land die Sirenen ertönen und Israel zum
Stillstand kommt. Jeder hält inne, wo er sich gerade befindet: in
Büros, in Geschäften, in Fabriken ruht die Arbeit, jeder verharrt
schweigend an seinem Platz. Auf den Straßen bleiben die Autos
stehen, alle steigen aus und stehen mit gesenktem Haupt neben
dem Fahrzeug. Niemand kann in die Köpfe der Israelis sehen,
aber man kann spüren, daß der Holocaust nicht Vergangenheit
ist, sondern daß er in die Gegenwart hineinreicht. Dies, glaube
ich, wird jedem, der sich damit beschäftigen will, erst in Israel
richtig klar.
Kein deutscher Israel-Besucher wird gezwungen, sich mit
Search WWH ::




Custom Search