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Vor unserem Aufbruch gab es ziemlich viel Kritik. »Haben Sie denn keine Angst, dass Ihr
Sohn krank wird?« Nein. Oder immer wieder die soziale Komponente: »Und alles ohne
Spielgefährten? Wie kann er sich denn so lange auf See allein beschäftigen?« Allein ist er
nicht. Die Eltern sind ja auch noch da. »Wie könnt ihr bloß ein solches Risiko eingehen?«
Doch es gab auch Leute, die begeistert von unserem Vorhaben waren. »Toll, dass ihr euch so
was traut, wir könnten das nicht.« Unterwegs erlebten wir dann viele überraschende Reak-
tionen: »Guck mal, wie geschickt er rudern kann! Wie alt ist er? Erst dreieinhalb Jahre? Das
kann doch nicht sein.« »Was für ein prächtiges Kerlchen, isst alles, schläft überall, spielt mit
jedem!«, bemerkte eine Gastgeberin bei einer Esseneinladung, als wir schon die ersten 1000
Meilen und einige Inselgruppen hinter uns hatten.
Es fing damit an, dass wir im schönsten Teil der Welt segeln und leben wollten. Also
flogen wir kurzerhand nach Neuseeland, kauften ein kleines gebrauchtes Schiff, KATHENA
FAA , rüsteten es aus und segelten los. Vierzehn Seetage später befanden wir uns bereits auf
den Fidschi-Inseln. Und alles war gut. Keine Wann-sind-wir-da-Fragen. Geradezu phant-
astisch. Automatisch reckte Kym beide Arme hoch, als wir das Land sahen. Was er dabei
fühlte, konnte er uns noch nicht konkret mitteilen. Wahrscheinlich sehnte er sich nach Ab-
wechslung, anderen Menschen, anderem Essen, mehr Bewegung.
Segeln und Familie. Wie das funktioniert, konnten wir gleich in den ersten Wochen fest-
stellen. Das war mit Arbeit und Aufmerksamkeit verbunden. Für uns hieß das: lustig sein,
wenn man um die Segel zitterte; spielen, wenn man eigentlich schlafen musste; erzählen,
wenn man lesen wollte.
Kym litt den ersten Tag unter Müdigkeit (vermutlich war er leicht seekrank). Am zweiten
schimpfte er: »Ihr fürchterlichen Segler.« Am dritten spielte er auf dem Kajütboden mit
Matchbox-Autos und Lego so vor sich hin. Dann folgten Tage, an denen er an Deck ein-
greifen wollte: Segel bergen, Schoten ziehen, Wind messen. Wir hatten ein Schalenkreuz-
Anemometer, das er liebte. Immer wenn es nass wurde, also Gischt an Deck kam, holte er
das Gerät aus dem Holzkästchen und hielt es in den Wind. Das half vor allem dabei, Zahlen
lesen zu lernen.
Gingen wir auf See, hatte diese Reihenfolge in etwa (je nach Wetterlage und Stimmung)
jahrelang Bestand: erst Müdigkeit, dann Hunger (wenn Kym eine Suppe oder braune
Bohnen bekam, war aller Unbill sogleich vergessen) und Lust zum Spielen, dann die Zahlen
am Kompass, am Anemometer und auf der Seekarte.
»Guck mal, Kym klettert in den Mast! Wenn wir ein Kind kriegen, geben wir es zu euch in
die Segelschule.« Ein amüsanter Einwurf von Deutschen auf der Insel Betio. Was soll man
dazu sagen? Ich meine, man hat Glück, wenn man es sich verschafft.
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