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Der 23. Tag auf See. Spüre in der Nacht, wie Wind und Seegang zunehmen. Ziehe Ölzeug
über und reffe die Segel. Die Dünung aus Nord nimmt zu, obschon der Wind weiter aus
West kommt - also von vorn. Der fallende Luftdruck macht mich kribbelig.
Der 24. Tag. Wind steht weiter um West. Dünung läuft gefährlich hoch aus Nord. Baro-
meter: 1000 Millibar. Tendenz rasch fallend. Ich schraube die Fockbäume ab, zurre sie an
Deck fest, verstaue sämtliches überflüssiges Tauwerk unter Deck. Bringe die Rettungsinsel
in die Kajüte und lasche sie sorgfältig fest. An Deck bleibt nur noch die Sturmfock, die das
Schiff manövrierfähig halten soll.
Warten. Abwarten. Nachmittags peitschten Regenböen übers Meer. Ich ahnte, was kommen
würde. Hockte mich ins Cockpit und schlang mir zur Sicherheit ein Tau um den Leib. Es
stürmte, und wir trieben. Die See kam von achtern, steuerbords. Die Luke war dicht, alle
Ritzen hatten wir mit Tesaband zum Schutz gegen Nässe überklebt. Es konnte losgehen.
Damit die See weiterhin mehr achterlich einkam, half ich an der Pinne mit Steuern aus.
Kym erschütterte wie üblich überhaupt nichts. Ich maß neun Beaufort. Hm. Doch ich
sagte nichts, und auch Astrid schwieg. Sie hatte sich mit Kissen und Wolldecken in der
Koje verkeilt. Es war schwül und stickig. In der geschlossenen Kajüte stand der Mief von
durchgeschwitzter Bettwäsche. Ich quetschte mich durchs Luk wieder nach draußen. Der
Sturm wuchs. Öfter und öfter stieg die hochgehende See an Deck und ins Cockpit. Ich
dachte an meine Frau, die in der unangenehmen Lage war, nichts tun zu können. Zur Ver-
ständigung hatten wir Klopfzeichen vereinbart. Dreimal kurz hieß: Alles okay. Mehr als
dreimal: Wie steht das Barometer?
Es stand tief.
Weiß schäumende Wellen brachen sich am Heck, das Deck wurde mit festem Wasser
überspült. Wir durften bei dem Seegang nicht quer kommen. Auf keinen Fall quer zu den
Wellen. Waren es schon Brecher? Ja, vereinzelt. Das reichte. Machtlos sah ich zu, wie der
Mast andauernd (fast) in die kochende See stach. Dachte bei der Schräglage (vielleicht
90 Grad) nur an festhalten, festhalten. Und bloß nicht den Mast verlieren. Dachte, dass KA -
THENA FAA aus England stammte, wo sie etwas von Bootsbau verstehen. Es würde schon
gutgehen.
Die extreme Schräglage hatte nur Sekunden gedauert, vielleicht fünf. Die nachfolgende
Welle richtete uns wieder auf. Der Mast stand. Langsam floss das Wasser ab - vom
Deck, aus dem Cockpit, aus dem Ölzeug. Wie konnte der Mast so tief sinken? Die Frage
beschäftigte mich.
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