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Im Grunde ist Bolivien insgesamt eine ziemliche Katastrophe. Nicht nur seine Außen-
politik ist eine Katastrophe, sondern es ist auch eines der ärmsten Länder Südamerikas: 97
Prozent der Landbevölkerung lebt unter der von der UN festgesetzten Armutsgrenze. Es ist
auch nicht wirklich ein Beispiel für eine stabile Regierungsführung. In den 170 Jahren seit
seiner Unabhängigkeit hatte Bolivien über 190 unterschiedliche Regierungen. Die Mutter
eines seiner kurzlebigen Regenten soll einmal gesagt haben: „Wenn ich gewusst hätte, dass
er einmal Präsident wird, hätte ich ihn zur Schule geschickt.“
Die Hospederia
Copacabana ist voler Hotels, aber ich hatte gelesen, dass man in der Hospederia, einem
alten Kloster, wohnen konnte. Es war sogar für bolivianische Standards lächerlich billig,
also beschlossen Mark und ich, es in Augenschein zu nehmen. Es war ein wunderschönes
altes Gebäude mit einem liebevol erhaltenen, gepflasterten Innenhof voller Blumen. Die
Zimmer bestanden aus nackten Betonböden und -wänden. Es gab keine Betten, Möbel oder
Lampen; nicht einmal Fenster. Aber es war ein echtes Schnäppchen. Im Zimmer nebenan
kochte, aß, schlief und wohnte eine achtköpfige Familie. Melissa stöhnte und ging in die
Kirche, um eine Kerze für eine kranke Freundin aufzustellen.
„Ich gehe schwimmen“, verkündete Mark. „Ich kann mir vorstellen, dass es ein wenig
kalt sein wird“, kommentierte ich abwesend. Ich las gerade. Mark wartete. „Also, komm
schon“, sagte er ungeduldig. „Gehen wir.“ „Wohin?“, fragte ich. „Ich wollte mir gerade
die Kirche ansehen.“ Mark wirkte beleidigt. „Ich habe keine Lust, die Kirche anzusehen.“
„Aber ich. Anscheinend soll sie einen der schönsten vergoldeten Altäre in Bolivien haben.“
Mark sah mich an, als wenn ich verrückt geworden wäre. „Einen vergoldeten Altar? Du
willst einen vergoldeten … was ansehen?“ „OK, geh du erstmal schwimmen. Viel eicht
komme ich später nach.“ „OK“, grunzte Mark. „Aber beeil dich.“ „Ich sagte, vielleicht …“,
begann ich, aber Mark schritt davon, ohne mir länger zuzuhören. Ich machte eine Runde
durch die Kirche. (Schöner vergoldeter Altar übrigens.)
Als ich zur Hospederia zurückkam, wartete Mark bereits. „Wie war's beim Schwimmen?“,
fragte ich. Mark explodierte. „Wo zur Hölle warst du?“, wollte er wissen. „Wie hätte ich
schwimmen sollen? Was hätte ich mit meinen Sachen machen sol en? Ich dachte, sie hätten
dich umgebracht oder so. Ich habe stundenlang gewartet. Du nimmst einfach keine Rück-
sicht auf andere Leute, das ist dein Problem.“ Er war völlig aus der Fassung. Ich war per-
plex. Ich hatte ihm nicht versprochen, zum Strand zu kommen. Aber von da an konnte ich
ihm nichts mehr recht machen.
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