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Der Karneval dauerte vier Tage. Die Prozessionen waren kaum wahrnehmbar. Sie waren
lediglich ein Vorwand für ein schwankendes, torkelndes, betrunkenes Besäufnis. Als die
Tage vergingen, wurden Wasser und Kalk immer verschwenderischer herumgeworfen,
wobei der Nachschub von geschäftstüchtigen jungen Kalkverkäufern schnell aufgestockt
wurde. Die Rambos und afrikanischen Krieger wurden zunehmend betrunkener und an-
griffslustiger, wenn sie Geld forderten, bis sie gelegentlich offen drohten. Die Zahl der
Betrunkenen, die in Hauseingängen schliefen, wuchs täglich.
Abends wurden in den Clubs besondere Konzerte geboten. Wir gingen zu einem, bei dem
die große Celia Cruz auftrat. Eigentlich hingen wir nur auf dem Parkplatz herum, der selbst
eine Art Mini-Festival war, voller Stände und improvisierter Bars. Wir gingen mit einem
Deutschen hin, der Rainer hieß. Mit seinem langen, übertrieben blonden Haar und seiner
ärmellosen Jeansjacke sah er aus, wie man sich einen deutschen Heavy-Metal-Gitarristen
vorstellen würde. Außerdem kamen Jacky und Jennifer mit, zwei outdoor-begeisterte Ka-
nadierinnen aus unserem Hotel.
Jackie und Jennifer waren in der vorangegangenen Nacht in einer Bar gewesen, als ein
Betrunkener herein geschwankt war, eine Pistole gezogen und ziellos um sich geschossen
hatte. Alle waren unter den Tischen abgetaucht. Der Betrunkene hatte noch ein paar
Schüsse abgefeuert, war einen Augenblick schwankend im Türrahmen stehengeblieben
und dann hinaus getorkelt. Alle waren aufgestanden und hatten weiter getrunken. Wir spiel-
ten eine Weile lang Trinkspiele und beschlossen dann, ein paar andere Bars zu testen. Ir-
gendwo auf dem Weg schlossen sich uns ein betrunkener Kolumbianer und ein junger
Venezuelaner an. „Kolumbianische Mädchen sind die schönsten auf der ganzen Welt“,
sagte der betrunkene Kolumbianer stolz. Melissa verdrehte die Augen. Der junge
Venezuelaner erklärte, er sei ein Geschäftsmann, womit er sagen wollte, dass er zum
Karneval gekommen war, um Chiglets, eine Kaugummimarke, zu verkaufen. Schließlich
fand sich Jackie in den frühen Morgenstunden allein mit dem inzwischen betrunkenen
Chiglet-Verkäufer in der Damentoilette wieder. Um seine Gefühle ihr gegenüber deutlich
zu machen, ließ er seine Hosen und Unterhosen fallen. Jackie lief weinend hinaus.
Der Chiglet-Verkäufer war perplex. „Glaubst du, dass sie mich mag?“, fragte er mich be-
sorgt. Wir fanden Jackie und brachten sie, betrunken und unter Tränen wie sie war, im Taxi
nach Hause. „Ich wollte doch nur etwas Spaß haben“, schluchzte sie. Den Höhepunkt des
Karnevals bildete das Festival de Orquestas, ein zweitägiges Konzert in einem Baseball-
Stadium, das live nach ganz Lateinamerika übertragen wurde. Die Attraktionen waren Top-
Salsa-Stars aus Kuba, New York und Puerto Rico sowie die besten kolumbianischen Bands
wie z.B. Joe Arroyo und Grupo Niche. Salsa ist eine Musik der Karibik; und obwohl das
nicht ausschließlich so ist, ist es doch im Wesentlichen schwarze Musik. Seine Popularität
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