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Sie sind nur morgens und bei klarem Wetter zu sehen, wohingegen die grasbedeckten
Hänge des 4800 Meter hohen Rucu Pichincha direkt aus dem Stadtkern zu wachsen schein-
en. Das Gran Casino befindet sich in der Altstadt, Quitos ursprünglichem Zentrum. Dieses
Viertel ist geprägt von einem kompakten Gitter aus Straßen, Kirchen und Plätzen aus der
Kolonialzeit. Die Kirche des Heiligen Franziskus, deren Grundstein schon 1534 gelegt
wurde, ist z.B. die älteste größere spanische Kirche, die in Südamerika errichtet wurde. Sie
beherrscht einen gewaltigen Platz, den Straßenkünstler jeden Nachmittag in ein Open-Air-
Theater verwandeln. Die Plaza de la Independencia gleicht hingegen mehr einem kleinen
Dorfplatz in Spanien, wo junge Paare und müde alte Männer sich im Schatten der Palmen
treffen - obwohl sie von der Kathedrale und dem Präsidentenpalast flankiert wird.
Die Kirchen waren im „Quito-Stil“ geschmückt - einer barocken Mischung aus spanischen
und indianischen Motiven. Die Altarwände waren vom Boden bis zur Decke vergoldet. Mir
schien, dass das eher von der Besessenheit der Conquistadores von dem glänzenden Mater-
ial als von ihrer Spiritualität zeugte. Arme Indianer saßen bei gedämpftem Licht in Seiten-
kapellen und flehten still zu teilnahmslosen, blauäugigen Portraits von Jesus, Maria und
diversen Heiligen, die alle nach der Vorstellung der Leute gemalt waren, die sie versklavt
hatten.
Die Altstadt war voller Quechua-Gesichter. Gebeugt unter gewaltigen Säcken mühten sich
gedrungene Indianermänner, die Filzhüte und Ponchos aus Wolle trugen, den Berg hin-
auf. Indianische Frauen mit ihren voluminösen Wollröcken und Pasteten-Hüten beauf-
sichtigten winzige Straßenstände auf dem Bürgersteig. Es roch nach abgestandener Pisse
und Feuchtigkeit. Alte Busse aus den 50er Jahren, die früher einmal Schulkinder aus Kan-
sas oder Idaho abgeholt hatten, ächzten nun die steilen, allzu engen Straße hinauf und
spuckten dabei Abgaswolken aus, die die Fußgänger völlig einhüllten und die historischen,
weißgetünchten Fassaden schmutziggrau färbten. Als wir am Tag nach unserer Ankunft
in einem chinesischen Restaurant gebratenen Reis aßen (in Ecuador wie in ganz Latein-
amerika wimmelt es nur so von China-Restaurants), driftete eine Wand aus Dieselrauch
von einem vorbeifahrenden Bus durch unsere Tür. Ein paar Sekunden lang verschwand der
ganze Raum in einer dichten schwarzen Wolke. Das war die Altstadt. Die Neustadt, die
ein paar Kilometer nördlich auf der anderen Seite des Parque El Ejido lag, war völlig an-
ders. Sie war (pseudo)modern, (pseudo)sauber, (pseudo)leise und überhaupt nicht überfüllt.
Smarte Restaurants, Bars, Clubs und Kinos sowie Reisebüros für Berg- und Dschungel-
touren, Banken, Souvenirgeschäfte und edle Hotels erfüllten den Touristen und Mitarbeit-
ern ausländischer Firmen jeglichen Wunsch. Quito beherbergt eine Million Einwohner
(hauptsächlich Quechua-Indianer) und ist eine eher ruhige und konservative Stadt; für eine
Hauptstadt ist sie auch ziemlich klein. Sie ist nicht einmal die größte Stadt in Ecuador, da
die Hafenmetropole Guayaquil inzwischen die Rolle des eigentlichen Wirtschaftszentrums
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