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fällt, könnte sein innerer ‚Schmerz' durch seinen wütenden Geist in der spirituellen Welt
ausgedrückt werden.“
„Aber was ist ein Schamane?“, unterbrach Melissa. „Dazu komme ich noch“, sagte Mark
verzweifelt, „aber du hattest gerade gefragt, was Animismus ist …“ Mark atmete tief ein.
„OK, also … ein Schamane fungiert als Verbindungsglied zwischen der normalen Welt
und ihrer anderen Realität, wobei er in ‚ekstatischer' Trance zwischen diesen hin und her
‚reist'. Diesen Zustand erreicht er, indem er psychedelische Pflanzen nimmt, durch mono-
tones Trommeln und Singen oder durch stundenlanges Tanzen und ähnliche Techniken.
Ich selbst würde es als einen ‚Trip' bezeichnen. Der Zweck solcher Reisen ist in der Re-
gel eine Heilung, da die Schamanen die inneren Ursachen eines Problems suchen. Ob-
wohl die Schamanen Kräuter- und Pflanzenmedizin verwenden, glauben sie, dass ernste
Krankheiten geheilt werden müssen, indem man die ‚innere' Ursache findet …“
„Also ein bisschen wie die spirituellen Vermittler im Voodoo“, schlug ich vor. „Nicht
ganz. Der Unterschied ist, dass der Schamane aktiv ist. Er oder sie reist in die Welt der
Geister, um Geister zu bekämpfen oder ihre Hilfe zu erbitten. Die Vermittler - die Medi-
en - im Voodoo sind passiv. Sie warten darauf, dass ein Geist von ihnen ‚Besitz ergreift'.
Jedenfalls kann man es wörtlich oder symbolisch verstehen, wie man will. Aber was die
animistische Weltanschauung - mit ihrer Vielfalt von Geistern und der magischen paral-
lelen Realität - aus meiner Sicht ausdrückt, ist ein Gefühl für die ‚Heiligkeit' der Natur
selbst. Entscheidend ist, dass nicht nur Menschen eine Seele haben, sondern alles andere
auch. Für Animisten ist die ganze natürliche Welt um uns herum mit magischer, gött-
licher Lebensenergie aufgeladen. Das Heilige ist in der Natur verortet, nicht irgendwo
außerhalb wie bei unserem Gott. Das ist ein entscheidender Unterschied. Der westliche
Begriff von Gott reflektiert den westlichen Glauben, dass Menschen der übrigen Schöpfung
per se übergeordnet sind: Dass die natürliche Welt uns von Gott ausschließlich zu unserem
Nutzen gegeben wurde. Wenn ihr mich fragt, ist es dieser Glaube, der die Saat für die heut-
ige Umweltkrise gesät hat.“ 30
---30 Europäer waren Animisten, bevor sie Juden und Christen wurden - und tatsächlich stammen die christlichen Vor-
stellungen von Himmel und Hölle, Engeln und Dämonen, dem Teufel und dem Kreuz alle aus älteren animistischen
Überzeugungen. Was verursachte also die große Wendung zum Monotheismus? Eine Möglichkeit ist, dass sie aus der
Entwicklung des Ackerbaus im Nahen Osten folgte, die den Menschen das Gefühl gab, die Natur „gemeistert“ zu haben.
Natürlich hat sich Ackerbau auch in den Anden entwickelt, und trotzdem sind die Menschen hier Animisten geblieben,
aber sie hatten reichlich Vulkane und Erdbeben, die sie daran erinnerten, dass die Natur immer noch der Boss war. Eine
andere Theorie findet man in Raine Eislers bril-liantem Buch The Chalice and the Blade .
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