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Ameisenhaufen von der Größe eines Autos sendeten gewaltige Tentakel von fleißigen,
blattschneidenden Arbeitern aus - Insekten-Autobahnen, die aus der zentralen Megastadt
des Nestes ausstrahlten und Wege durch die verhedderten Abfälle herabgefallener Vegeta-
tion auf dem Waldboden bahnten.
Jede Fläche war lebendig. Spinnennetze waren zwischen Blättern ausgespannt. Jeder zer-
fallende Ast oder Baumstamm war ein durchnässter Nährboden für Insekten und Raupen
oder Pilze. Der gesamte Wald war ein riesiger, fruchtbarer, lebendiger Organismus, in dem
nichts verschwendet wurde und jedes abgestorbene Teil Nahrung für neues Leben war.
Sogar jetzt in der Trockenzeit fühlte sich alles nass an.
In der Nacht, nach einer Mahlzeit aus frisch gefangenem Fisch, Bananen und Reis, lagen
wir unter unseren Moskito-Netzen und lauschten dem elektrischen Summen der Insekten.
Das Quaken von Fröschen und die Musik fremdartiger Vögel umspielte unsere kleine Platt-
form und spülte wie eine rollende Brandung über uns hinweg. Ein Vogel klang genau wie
ein Telefon. Ein- oder zweimal erwachte ich und zuckte zusammen, da ich mich zu Hause
glaubte - um dann aber festzustellen, dass ich mich mitten im Dschungel befand. Äußerst
verwirrend. Ein anderer machte ein hohles, hallendes, flüssiges „Ka-Plopp“, wie ein Kies-
elstein, den man in einer Höhle ins Wasser wirft.
Unsere zweite Nacht war Sylvester, was wir, um eine flackernde Kerze sitzend, mit ein paar
Flaschen Aguardiente feierten, die wir extra für diese Gelegenheit gekauft hatten. Mitter-
nacht ging vo-rüber. Alle schliefen - außer Mark und mir. Mark ging spazieren. Nach einer
Weile kam er zurück und winkte mir, ihm auf dem Pfad in den Wald zu folgen. Beim Ge-
hen spürte ich die uns umfangende Gegenwart von millionen Pflanzen. Ich zögerte, da ich
befürchtete, dass Schlangen und Jaguare in der Nähe sein konnten.
Aber Mark war bereits ein Stück weiter den Pfad entlang gegangen, der vom flachen Hügel,
auf dem unser Camp stand, abwärts verlief. Wir gingen weiter, bis das Mondlicht von un-
serer Lichtung nicht mehr durch den Wald drang. Dunkelheit.
„Vielleicht ist das meine Aufgabe auf dieser Reise. Dich ein kleines bisschen weiter zu
treiben“, flüsterte Mark aus der Schwärze neben mir. Der Wald knisterte von Zikaden und
Vogelrufen. Die Pflanzen wiegten sich sanft. Ich fühlte mich, als wenn wir in eine riesige
Lunge gegangen wären - warm, feucht und organisch. Pulsierend vor Leben.
„Das ist der Gipfel der Artenvielfalt“, schwärmte Mark. „Im Radius von einer Meile könnte
es eine Million verschiedene Lebensformen geben. Alle kämpfen gegeneinander, verdrän-
gen sich gegenseitig, zehren voneinander, leben in Symbiose mit anderen. Nenn mir ir-
gendeine Art - wahrscheinlich ist sie irgendwo dort draußen, ganz in der Nähe. Jede denk-
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