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mengarten und bestaunte die terrassenartig angelegten 612 Stufen des Pilger-
pfades die zum Ort hinunterführten, - oder, eigentlich, genau genommen, vom
Ort herauf. Die Aussicht war grandios. Man konnte über die roten Dächer von
Großheubach bis zum Main hinunterschauen. Der Himmel darüber war wieder
blau und wolkenlos.
Die eigentlichen Klostergebäude lagen weitab der schönen Aussicht im Hinter-
grund der Szenerie und machten einen eher unscheinbaren Eindruck. Ich ignor-
ierte sie und ging lieber zum hochgelegenen Vorplatz der Kirche. Dort stützte ich
mich auf die steinerne Brüstung und genoss den weiten Blick in die Ferne.
Von Stille und Weite umgeben öffnet sich auch die Sicht ins eigene Innere.
Ich entspannte mich und geriet in eine von der Welt losgelöste meditative Stim-
mung. Eine solche Stimmung macht offen für tiefe Einsichten. Auch für Einsichten
religiöser Art. Das aber schien den heidnischen Göttern, deren Kultstätte sich zu
Urzeiten hier bei den Felsen befunden hatte, lange bevor im 13. Jahrhundert eine
kleine hölzerne Kapelle im Namen des hl. Michael errichtet worden war, nicht zu
passen. Sie störten mich. Sie störten mich durch den Lärm eines aus Richtung
der Klostergebäude herannahenden Motorrades und durch ein junges Pärchen in
Lederklamotten und mit Motorradhelmen, das Hand in Hand herbei gestürmt kam.
Sie lösten lachend die Kinnriemen der Helme und legten sie auf die Balustrade.
Dann erstarrten sie. Das Lachen erstarb. Sie hatten mich entdeckt. Sie waren nicht
alleine. Das Gesicht der jungen Frau unter den blonden Locken rötete sich. Der
junge Mann trippelte verlegen auf der Stelle. In seinem Gesicht stand eine dro-
hende Bitte: Du störst, stand da. Wir wollen hier allein sein. Ich habe etwas vor. Du
störst. Du störst gewaltig.
Er blieb stumm. Aber seine Hände hoben sich zu einer ungeduldig flehenden
Geste.
Ich verstand. Da war wieder einmal einer dabei, den ersten Schritt auf einem
Eselsweg, zu tun.
Hoffentlich fand er die richtigen Worte. Die befanden sich auf dem Film in mein-
er Kamera, dachte ich, die könnten ihm jetzt nützlich sein. Sie lauteten:
Gib mir Deine Hand …
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