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Elfter Tag
Bereits um zehn Uhr hatte ich Gießen hinter mir gelassen und war unterwegs
nach Butzbach. Ich hatte nur einen Gedanken: Nichts wie weg. Was soll man auch
von einer Stadt halten, die auf ihrer Homepage unter dem Ikon »Stadtplan« nichts
anzubieten hat als einen dicken roten Punkt. Auch Blondinenwitze sind nicht ohne
Grund entstanden.
Von Butzbach kam ich über Bad Nauheim nach Niddatal. Dort stellte sich mir ein
großgewachsener Mann im blauen Monteuranzug entgegen. Sein Gesicht verklärte
sich bei meinem Anblick. Ein liebevolles Lächeln verwandelte es in das Antlitz eines
mittelalterlichenMönchs,einesMissionars,deraufeinsamenWegeninheidnischen
Landen wandelnd, plötzlich einem Glaubensbruder gegenübersteht. Hätte es mein
Fahrradlenkernichtverhindert,hätteermichimÜbermaßseinerFreudeindieArme
geschlossen. Auch er, so brach es aus ihm hervor, würde seinen Urlaub mit Rad
fahren verbringen. Und wenn ich nach Bad Vilbel wolle, so ginge es dort rechts
hinüber auf den Niddaweg: eine gut befahrbare Strecke und wunderschön. Ein Plat-
tenweg, allerdings mit ein paar holprigen Stellen.
Für einen Augenblick ruhte sein Blick besorgt auf meinem Gepäck.
AberdieseStellenseiennichtsehrhäufig.Obmirdasetwasausmachenwürde?
Schlimm wäre es nicht. Und seine Familie würde ihn im Urlaub begleiten. Gott
sei Dank. Wohin ich wolle? Ah, zum Bodensee also. Ja, da wäre er auch schon
gewesen. Er kam ins Schwärmen und schwelgte in Erinnerungen: Man könne ganz
um den See herumfahren. Und dann der Donauweg von Passau nach Wien! Der
wäre ganz besonders schön. Die Anreise zum Ausgangspunkt einer Tour müsse
er immer mit dem Zug machen. Wegen der Zeit. Und erst das Altmühltal. Herrlich,
herrlich. Manchmal schlechte Wegstrecken. Schotter. Das geht auf die Reifen. Aber
die Landschaft - herrlich, herrlich. Am liebsten würde er ein Stück mit mir fahren.
Aber er müsse jetzt zur Arbeit. Leider, leider. Es seien wirklich nur wenig Holperstel-
len auf dem Weg an der Nidda. Sonst, wie gesagt: wunderschön. Und gute Fahrt!
Und gute Heimkunft! Er machte eine Bewegung wie der Papst an Ostern in Rom
auf dem Petersplatz, wenn er die Menge segnet. Ein Blick auf die Uhr. Er müsse
jetzt los. Die Pflicht ruft. Leider, leider. Und weg war er.
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