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3.8 Das Problem der genetischen Analyse bei „Volkskrankheiten“
Wir haben bisher im Wesentlichen die „monokausalen“ Krankheiten bespro-
chen, seien es monogen erbliche Krankheiten oder Chromosomenstörungen.
Diese Gruppen von Krankheiten sind wissenschaftlich einfacher zu bearbeiten,
weil dem Phänotyp eine einzige Ursache zugrunde liegt und man eventuell den
Erbgang berücksichtigen kann. Was kann die Genetik aber zur Aufklärung der
Ursachen von Krankheiten beitragen, die in der Bevölkerung häufig auftreten,
wie hoher Blutdruck, Neurodermitis, Diabetes, Anfallsleiden, Geisteskrankhei-
ten, manche angeborene Fehlbildungen?
Alle Krankheiten, die in der Bevölkerung häufig sind und eine gewisse Fa-
miliarität ihres Auftretens zeigen, ohne jedoch dominant oder rezessiv erblich
zu sein, sind multifaktoriell bedingt (Abb. 4). Vererbt wird häufig die genetische
Disposition in Form eines komplizierten Musters von Genotypen. Es entschei-
den dann Einflüsse der Lebensführung darüber, ob sich die Disposition phäno-
typisch niederschlägt. Der einzelne Genotyp trägt in der Regel nur sehr wenig
zum Phänotyp bei. Von Fall zu Fall könnte es aber auch einzelne Genotypen ge-
ben, die einen etwas größeren Einfluss auf den Phänotyp haben.
Die genetische Aufklärung der multifaktoriell erblichen Krankheiten ist
denkbar kompliziert. Man benötigt viele tausend Patienten, die phänotypisch
gut charakterisiert sind, um dann umfassend genetisch untersucht werden zu
können. Den Grad der Kompliziertheit kann man aus den bisherigen Befunden
zur Genetik seelischer Krankheiten entnehmen. Es gibt eine Reihe genetischer
Varianten, die mit Schizophrenie assoziiert sind, bei diesen Patienten also häufi-
ger vorkommen als bei Gesunden. Dieselben Varianten sind auch mit manisch-
depressiver Krankheit, mit der Depression und sogar mit dem Autismus assozi-
iert, wenngleich der Grad der Assoziation jeder Variante unterschiedlich ist. Es
gibt also keine 1:1-Beziehung zwischen dem klinischen Phänotyp und der gene-
tischen Grundlage. Es ist eine hochinteressante und medizinisch wichtige Auf-
gabe, für diese Befunde ein genetisches Modell zu entwickeln. Eigentlich müss-
te es noch weitere assoziierte Genvarianten geben, die für die Spezifität der
verschiedenen Diagnosen verantwortlich sind.
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