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Die Altgläubigen am Peipus-See
Die kleinen Orte am westlichen Ufer des
Sees haben einen eigenen, altmodischen,
aber auch romantischen Charakter. Be-
wohnt werden sie von sogenannten alt-
gläubigen Russen, von den Esten auch au-
genzwinkernd als „Zwiebelrussen“ be-
zeichnet, da in den Gärten hinter den klei-
nen Holzhäuschen lange Reihen von Zwie-
beln und anderem Gemüse wachsen. Wie
die Zwiebelreihen schlängeln sich auch die
Dörfchen an der Uferstraße entlang, Holz-
haus neben Holzhaus, nur ab und zu von
einer kleinen orthodoxen Kirche oder ei-
nem Fischerhafen unterbrochen, von wo
aus die Männer des Dorfes auf den See
hinausfahren. Wenn sie abends zurückkeh-
ren, nageln sie ihren Fang an die Wände ih-
rer Häuser und Schuppen. Luftgetrocknet,
so weiß man hier seit Generationen, ist der
Fisch eine Köstlichkeit.
37 verschiedene Fischarten wurden im
Peipus-See gezählt, die nicht nur im Som-
mer mit Netzen gefangen, sondern auch im
Winter durch Eislöcher geangelt werden.
Dazu fahren die Fischer auf Motorschlitten
über die dicke Eisdecke weit auf den See
hinaus. Die Radarstationen der Grenzer
passen auf beiden Seiten auf, dass sich da-
bei niemand ins Nachbarland verirrt. Im
Frühjahr treiben oft riesige Eisschollen und
-berge über den See. Nur fünfzehn Meter
vor seinem braunen Holzhaus habe vor ei-
nigen Jahren ein riesiger, um die 20 Meter
hoher Eisberg Halt gemacht, berichtet ein
Einwohner von Nina.
Die Altgläubigen kamen bereits im
18. Jh. aus Russland, vor allem aus der Ge-
gend um Nowgorod, an die Westküste des
Peipus-Sees, wo sie der Verfolgung im ei-
genen Land entgingen und friedliche Plät-
ze zum Leben fanden. Seither bewohnt
diese Bevölkerungsgruppe das ganze Ufer
des Peipus-Sees und Narva-Flusses, von
den Dörfern Gorodenka und Kuningaküla
im Norden bis zum Gebiet der Seto im
Süden.
Die Altgläubigen leben seither in einer
sehr isolierten und streng abgegrenzten
Gesellschaft, ihr Alltagsleben hat sich seit
ihrer Ansiedlung kaum verändert. Die mo-
dernen Zeiten haben nicht viel Gutes für
diese Bevölkerungsgruppe gebracht. Ar-
beitslosigkeit zwingt die Jugend, ins Lan-
desinnere umzusiedeln, wo die moderne
Welt als kulturelle Konkurrenz eine ständi-
ge Bedrohung für die Weiterexistenz der
Altgläubigenkultur darstellt.
Mittlerweile sind erfolgreiche Maßnah-
men zu Förderung und Erhaltung der Tradi-
tionen ergriffen worden. So eröffneten in
Kolkja ein Restaurant mit örtlichen Spezia-
litäten sowie ein Heimatmuseum. Ferner
haben sich in Raja und Mustvee Priester
bereiterklärt, ihre Kirchen der Öffentlich-
keit zugänglich zu machen und sie über die
Eigenart der russisch-orthodoxen Altgläubi-
gen-Kirche und die Besonderheiten der Li-
turgie zu informieren. Auf der Insel Piiris-
saar wird jedes Jahr der Peter-und-Paul-Tag
festlich begangen. Ein Besuch der Altgläu-
bigensiedlungen ist eine exotische Reise in
ein anderes Estland!
Altgläubigenfamilie in Nina
 
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