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des Alltags vergessen ließen. Es war eine rauchgeschwängerte Welt, die anschaulich
im Film Der Blaue Engel (1930) mit Marlene Dietrich als Lola und natürlich in Bob
Fosses Filmmusical Cabaret (1972) mit Liza Minelli porträtiert wird.
Jazz wurde zur Musik der Varietés, besonders nach den aufsehenerregenden Auftrit-
ten der amerikanischen Künstlerin Josephine Baker im Theater des Westens, in denen
sie nichts als einen Bananenrock trug. Im Admiralspalast auf der anderen Seite der
Stadt entzückten die ebenfalls amerikanischen Chocolate Kiddies ihr Publikum mit
Musik von Duke Ellington.
Ein traditionellerer Musikstil der 1920er-Jahre, der die Massen in Varietés und Ball-
häusern unterhielt, war der Berliner Schlager - unbeschwerte Lieder mit Titeln wie
Mein Papagei frisst keine harten Eier und Ich hab das Fräulein Helen baden sehen ,
die sich hart an der Grenze des Albernen und Surrealen bewegten.
Die erfolgreichste Sängertruppe dieser Musikrichtung waren die Comedian Har-
monists, eine „Boygroup“, die 1927 von Harry Frommermann im Stil der amerikan-
ischen Gruppe The Revelers in Berlin gegründet wurde. Sie sangen mit einem Bari-
ton, einem Bass, drei Tenören, die sich wie Musikinstrumente anhörten, sowie einem
Klavierspieler perfekte Harmonien. Die Gruppe löste sich 1934 auf, da drei ihrer Mit-
glieder Juden waren; sie flohen anschließend aus Deutschland.
Ein weiterer durchschlagender Erfolg war die Dreigroschenoper von Bertolt Brecht
mit Musik von Kurt Weill, die klassische Musik mit Varietéliedern und Schlagern verb-
and. Die Erstaufführung mit so berühmten Songs wie Die Moritat von Mackie Mess-
er fand 1928 statt. Sie war ein wunderbares Beispiel von Brechts „epischem Theater“,
eine Stilform, die er nach seinem Umzug nach Berlin 1924 entwickelt hatte. Anders
als das „dramatische Theater“ zwingt es das Publikum, sich emotional vom Stück und
seinen Figuren loszulösen und sie kritisch und intellektuell zu beurteilen.
BERLIN CABARET
Einen lebendigen Einblick in den Aufstieg und Niedergang des Varietés
in Berlin vermittelt Peter Jelavichs Berlin Cabaret (2005).
Auch Friedrich Hollaender war ein bedeutender Komponist in der Varietészene, der
bekannt für seinen Witz, sein Improvisationstalent und seine intelligenten Texte war.
Zu seinen berühmtesten Liedern gehört Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe einges-
tellt , das Marlene Dietrich im Film Der Blaue Engel sang, in dem Hollaender einen
Auftritt als Pianist hatte. Wie so viele andere Talente (auch Weill und Brecht) verließ
 
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