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und wartet auf mich, damit er sich das mit Gary und Julia nicht mehr antun muss
und für ihn am folgenden Tag keine Mammutetappe ansteht.
Variante „Fresssack“ (auch Tobis Lieblingsvariante): Stefan behauptet, dass er auf et-
was ganz Wichtiges (vielleicht seine Kreditkarte?) von der Post warte und deshalb noch
einen Tag bleiben müsse. Offiziell hätten wir uns gestritten, oder so … - Ach nein. Und
was, wenn Gary - so gut wie sicher - so nett ist, mir bei meinem Postproblem zu hel-
fen? Oder wenn wir uns an diesem ominösen Treffpunkt irgendwo westlich von hier
am Ende verfehlen? Blödsinn, wir treffen uns einfach um 9 Uhr bei Burger King - einen
Burger King gibt's schließlich fast überall! - Großartige Idee: Tobi könnte in der War-
tezeit jede Menge Whopper fressen, und ich müsste ihn zur Strafe den nächsten Berg
hinaufrollen.
Warum, bitte, legt sich Tobi nicht einfach ins Bett und behauptet, dass er Migräne
hat? Wäre doch die Lösung: Einfach, nicht nachweisbar - und ich hätte freie Hand.
Ha! Ich spiel hier doch nicht den ganzen Abend mit Gary Doktorspiele, während Stefan
und Julia … - Der spinnt doch!
Je mehr wir mit diesen ausgesprochen liebevoll durchdachten Lösungen herumjonglieren
- und das mit steigendem Amüsement -, umso klarer wird schließlich, dass wir keine da-
von in die Tat umsetzen werden.
Irgendwie kann ich Stefan davon überzeugen, dass es das Beste ist, wenn wir fahren.
Blöderweise knüpft er daran allerdings eine Reihe von Bedingungen: So spiele ich seinen
Liebeslakaien und fahre in den Ort, um eine rote Rose zu holen, während er seinen Ab-
schiedsbrief aufs Papier weint.
Ich komme mir unglaublich ritterlich vor: Großer Bruder holt kleinem Bruder eine rote
Rose für seine Geliebte. Dumm nur, dass das Muttchen im Blumen-Store keine roten Ro-
sen hat. Eigentlich hat sie gar keine Rosen mehr, erst wieder übermorgen. „Übermorgen,
Mütterchen, ist zu spät … “ (Warum komme ich mir bloß dauernd vor wie in „Und täglich
grüßt das Murmeltier“?). Ich beteuere auf Knien (was man nicht alles für seinen Bruder
tut), dass ich unbedingt jetzt und heute eine Rose brauche, und zwar eine rote! Und dass es
dabei (wie immer) um Leben und Tod geht. Das wirkt. Sie kramt für mich den Abfallkübel
durch und findet tatsächlich noch eine etwas zerknautschte rote Rose. Als ich ihr zum Dank
die dramatische Geschichte erzähle (Stefan unterstelle ich dabei ausschließlich romanti-
sche Gefühle), beginnt sie fast zu weinen und schenkt mir das Röslein. Ich rase radelnd
mit der Blume zwischen den Zähnen zurück. Schließlich müssen wir abhauen, sonst kommt
Gary noch, bevor wir weg sind.
Nachdem ich versucht habe, in ein paar wenige Zeilen ein Maximum an Ausdrucks-
kraft zu legen, deponiere ich die Rose auf dem Bett neben Julias Nachthemd. In den
CD-Spieler stecke ich eine Guns n' Roses-Scheibe (Don't Cry), drücke die Repeat-
Taste und drehe den Verstärker auf volle Leistung. Als romantischer Mensch weiß ich
schließlich, was sich gehört. (Na ja, und ein bisschen Dramatik muss schon sein.)
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