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Der Tag beginnt mit einem neuerlichen Ritt durch Indianerland. Wie ein Klebeband ist
die Straße in die Landschaft gelegt: keine Umwege, kein weggesprengtes Gestein („Wegen
so einer dummen Straße machen wir doch keine Löcher in unsere Berge!“), nur Hügel an
Hügel - so weit das Auge reicht.
Schließlich eine Abart: eine allerletzte Erhebung, so groß, dass dahinter nichts mehr zu
sehen ist. - Quell der Phantasie zwischen zwei Pedaltritten: Was könnte wohl danach kom-
men? Ein Märchenschloss? Ein Badestrand? Juwelen? Tänzerinnen? Das Meer? - Und
wann endlich wird die Kuppe das gut gehütete Geheimnis preisgeben? - Wir erreichen den
Horizont … - und sehen: die drei nächsten Hügel! Wer hätte das gedacht.
Bei der Abfahrt zwischen zwei Wellenbergen springt mir neben der Straße im Gras plötz-
lich etwas ins Auge. Es sah aus wie ein Halsband, eine Kette, etwas Wertvolles. Ich zögere
eine Zehntelsekunde: Jetzt bremsen bedeutet, nachher ohne Schwung den nächsten Hügel
angehen zu müssen. - Egal. Ich schleife mich so heftig ein, dass Stefan (den ich völlig ver-
gessen hatte) beinahe mit vollem Tempo in mich reinkracht und seine Satteltasche noch
mein Bein streift.
Es ist ein indianisches Halsband - ein ziemlich wertloses für Touristen, aus Leder mit
silbernen Metallperlen - und es ist von den vorbeirasenden Autos schon ein wenig in Mit-
leidenschaft gezogen worden. Aber schon weil ich den Fund jetzt mit viel zusätzlicher Mü-
he bezahlen muss, beschließe ich, es als besonderen Glücksbringer zu behalten, und knote
es mir doppelt um den linken Arm. - Ein Erkennungsmal für Westentaschen-Abenteurer.
Ja, ja, die Natur lernt: Pferdebremsen rotten sich in dieser Gegend zu regelrechten Herden
zusammen und warten an den schweißtreibendsten Anstiegen auf langsame und schön
schwitzende Radfahrer. Intelligente Tierchen! Uns liefern sie dafür eine starke Motivation,
diese Hügel möglichst zügig zu erklimmen. Richtige Schrittmacher-Fliegen: Gebissen wird
man nur, wenn die Geschwindigkeit unter 20 km/h fällt; entpuppt man sich allerdings als
Schwächling, wird man gleich bis aufs Blut ausgesaugt.
Beim Mittagessen in Interior werfen wir uns je ein Exemplar des „einzigartigen und le-
gendären“ Indian Taco rein. (Das kommt dabei raus, wenn man zulässt, dass sich der me-
xikanische Taco mit dem wienerischen Langos paart.)
Vor uns liegen nun die um nichts weniger legendären „Badlands“: Aber in unserer nach-
mittäglichen Faulheit beschließen wir, den mit Autos übersäten Touristen-Trampelpfad in
die Berge zu meiden (schließlich kostet der Spaß ja auch 5 Dollar Maut pro Kopf!) und
stattdessen auf Direktroute 44 nach Westen weiterzufahren.
Nach weiteren zehn Meilen überkommt es uns dann doch: Mit erhöhtem Puls stehen wir
an der letzten Abzweigung von der 44 in die Badlands, die uns vom Tankwart in Interior
geschildert worden war, und denken scharf nach: Ein Schotter-Schleichweg ins staubtro-
ckene wasser- und zivilisationslose Bergland liegt vor uns. Und - er ist mautfrei! Sollen
wir? Sollen wir nicht? Irgendwie bräuchten wir hier (nicht zum ersten Mal) eine dritte, ent-
scheidende Stimme.
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