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Das Land, von dem jeder wusste
und das doch keiner sah
Maulhelden
Helden sind wir. Nerven aus Stacheldraht. Muskeln wie Stahl. Eiserne Willenskraft. Und
eine Klappe groß wie ein Scheunentor: „Amerika“, erklären wir allen, die es wissen wollen,
und allen anderen auch, „diesen Sommer werden wir mit dem Fahrrad durch Amerika fah-
ren.“
Keiner, der sich dieses vollmundige Gerede anhören muss, weiß genau, was er davon hal-
ten soll: Verantwortungslos genug, um es zu probieren, sind sie wohl, die zwei. Schließlich
ist Stefan schon einmal den Wien-Marathon gelaufen (immerhin nach drei Wochen Trai-
ning) und Tobi mit dem Rad über den Großglockner gefahren, auch einfach so. Na ja, lasst
sie spinnen! Man wird ja sehen.
Wir jedenfalls sind von unserer Sache überzeugt: Um für allfällige Interviews mit dem
„Rolling Stone Magazine“ und der „New York Times“ gerüstet zu sein, einigen wir uns
darauf, dass die Idee in einer Bar entstanden ist. Tatsächlich waren wir eines frostigen No-
vemberabends gemütlich beisammen gesessen, hatten eine Kleinigkeit getrunken und ge-
quatscht, als es plötzlich passierte: Auf diesen lausigen Winter würde hoffentlich auch wie-
der ein Sommer folgen. Nur, was könnte man mit diesem lauen Sömmerchen anfangen?
Daheim bleiben und weiterhin mit dem Fahrrad monatelang den ewiggleichen Hügel im
Wienerwald bezwingen? Bloß nicht. Über den großen Teich fliegen und die USA mit dem
Auto durchqueren? Zu langweilig. Das hatten zu viele vor uns schon gemacht. (Schlimmer
noch: Ein paar Bekannte, die wir beide nicht für besonders nachahmenswert halten, hatten
mit großem Theater und vielen langweiligen Fotos davon berichtet: „Das bin ich in New
York, das ist Gregor vor Mount Rushmore, das sind wir drei am Grand Canyon …“) Irgend-
wo dort sprang der Funke über: Klar! Sicher! Mit dem Rad durch Amerika! - Warum nicht?!
Das Lachen verging, die Idee blieb. Ähnlich muss es dem ersten Mann ergangen sein, der
beschlossen hat, in einem Fass die Niagarafälle zu überqueren …
Diese Reise wird uns verändern. Man kommt nun mal von einer Kontinentdurchquerung
per Drahtesel nicht unverändert zurück. Wie und in welchem Ausmaß wissen wir allerdings
nicht. Wir wissen ja nicht einmal, wie unser neues Leben unterwegs aussehen wird. Dass es
anders sein wird als bisher, ist klar. Wir wollen Asketen werden. Philosophen auf Rädern.
Das klingt nicht nur schön, das lebt sich hoffentlich auch so. Wie sonst sollte man die Strapa-
zen und Entbehrungen, die auf uns zukommen, heil überstehen können? Auch eine doppelte
Identität würde die Sache in schwierigen Situationen erleichtern. - Zum Beispiel: Weich-Ei
Bruce Wayne, der sich im richtigen Moment in Batman, den schwarzen Rächer, verwandelt,
oder Brillenträger Clark Kent, unter dessen mühsam zugeknöpftem Hemd die pralle, stäh-
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