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Landschaft, die Ortsnamen sind bald
echt, bald verändert oder erfunden,
was existiert, ist durcheinander gewür-
felt und neu zusammengestellt. Un-
wahr wird es deshalb nicht. Im Gegen-
teil: Giono, der allem Oberflächlichen
misstraute, hat die Provence mit schär-
ferem Blick gesehen als die meisten.
Deshalb kann seine Literatur kein Al-
bum des Pittoresken sein.
Ein Ort jedenfalls ist ganz real:
Le Contadour, ein, wie die Franzosen
sagen würden, haut lieu de Giono und
doch nur ein abseitiger, in der Wildnis
vergessener Weiler, hinter dem sich
die schmale Straße alsbald verläuft.
Kaum etwas hat sich verändert, seit
sich Jean Giono hier in den 1930er
Jahren in eine Mühle zurückzog, um-
geben von einer Gemeinde junger
Stadtflüchtlinge. Er tat, was eben zu
tun ist im Kreise solcher Jünger - er
predigte. Ein Irrweg, ein belangloser,
von ihm selbst bald belächelter Fehler,
der doch, und das zeigt viel über die
damalige Zeit, Auftakt wurde zu einer
Reihe von Missverständnissen, an de-
ren Ende besagte Verhaftung stand.
Was Giono wirklich am Herzen lag,
war eine Art ganzheitlicher Pazifis-
mus, gewiss mit einer zivilisations-
feindlichen Note, doch wer wollte ihm
das verübeln in dieser Zwischen-
kriegszeit. Pazifist war Giono, seit er
den Ersten Weltkrieg erlebt und Ver-
dun überlebt hatte. „Der Krieg ist kei-
ne Katastrophe“, urteilte er, „der Krieg
ist ein Mittel zum Regieren. Der kapi-
talistische Staat kennt keine Menschen
aus Fleisch und Blut, er kennt nichts
anderes als Rohmaterial für die Pro-
duktion von Kapital, und um Kapital zu
produzieren, braucht er gelegentlich
den Krieg.“
In seinem Roman „Die große Her-
de“ von 1931 hatte er Soldaten auf
dem Weg zum Schlachtfeld mit dem
letzten Abtrieb einer Schafherde in
den Bergen seiner Heimat verglichen,
in „Die wahren Reichtümer“ setzte er
1936 dem scheinbar zivilisierten
Großstädter den im Einklang mit der
Schöpfung lebenden Bauern oder
Handwerker entgegen.
Als dann 1939 wieder Mobilisie-
rungsplakate geklebt wurden, auch in
der Hochprovence, da riss Giono sie
in Fetzen - der erste, kurze Gefäng-
nisaufenthalt war fällig. Man rückte ihn
bald in die Nähe deutscher Blut- und
Bodenmystiker, und das Vichy-Regime
schien das zu bestätigen, als es sich
seiner Texte bediente. Beides führte
nach dem Krieg wieder ins Gefängnis.
Dabei machen nicht nur Gionos Pazi-
fismus, auch seine fast anarchische
Lust an der Freiheit und sein Abscheu
vor jeglicher Massenbewegung ihn
der Sympathie für den Nationalsozia-
lismus gänzlich unverdächtig.
Das dreijährige Publikationsverbot
ließ Giono mit stoischer Ruhe verstrei-
chen. Der Autor, der sich danach zu
Wort meldete, war nicht mehr dersel-
be. Sein Vertrauen in den Menschen
und die Natur hatte einen bitteren Bei-
geschmack angenommen. Thematisch
kehrte er den Zeitläufen gänzlich den
Rücken und wandte sich historischen
In der Altstadt von Grasse
 
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