Geoscience Reference
In-Depth Information
fürhtet. Bis dahin war der Klimawandel fast ausshließlih Gegenstand der Natur-
wissenshaten gewesen. Nun meldeten sih auh die Sozial- und Kulturwis-
senshaten zu Wort, wenn auh nur zögerlih. Gemeinsam mit den Medien- und
Kommunikationswissenshaten wurden sie teils um Hilfe gebeten, teils interessier-
ten sih ihre Vertreter aus eigenem Forshungsinteresse für den Klimafall; sie
standen aber ot ebenfalls im Bann des Zeitgeistes und hinterfragten die Ergebnisse
ihrer Kollegen aus den Naturwissenshaten kaum. Forshungen aus den Disziplin-
en, die Geshihte und Praxis der Wissenshaten zum hema haten, wurden
zumeist ignoriert. Die gegenseitige Abgrenzung und jeweilige Diskreditierung der
Sozial- und Kulturwissenshaten auf der einen und der Naturwissenshaten auf
der anderen Seite haben eine lange Tradition, auf die wir später noh eingehen wer-
den (Kapitel 7).
Eine Ausnahme stellte Nico Stehr dar, ein Professor für theoretishe Soziologie,
der eine Einladung zu einem mehrmonatigen Studienaufenthalt im Max-PIank-In-
stitut im Jahr 1992 annahm und dort unter den Naturwissenshatlern lebte. Sein
Gastvortrag, den er in diesem Rahmen hielt, war beeindrukend. Er kam, holte sein
Manuskript heraus, legte insgesamt ein netes Bild vom Typ „Wandshmuk“ auf
den eigens bestellten Overhead-Projektor, setzte sih hin und las vor. Das Publikum
war shokiert. Als gute Naturwissenshatler hörten viele niht wirklih zu, son-
dern warteten auf die Folien, die alles erklärten - die aber niht kamen. Nico Stehr
trug einfah, in guter alter geisteswissenshatliher Tradition, seinen Vortrag vor.
Ein formidabler Kulturshok für die damals noh Folien- (und heute PowerPoint-)
gewöhnten Naturwissenshatler.
Der Vortrag war niht nur in dieser Hinsiht eine Provokation. Nico Stehr zeigte
auf, dass das Klima selbst eine menshlihe Geshihte und dass unsere heutige
Klimaangst historishe Vorläufer hat. Dasselbe gilt für die Maßnahmen, die gegen
die Angst ergrifen werden: Im heutigen aufgeklärten Deutshland beläheln wir
Gebete als Shutzmaßnahme oder die Erklärung, dass Unweter eine Bestrafung-
spolitik Gotes seien; gleihzeitig wissen wir, dass diese Praktiken und Argumenta-
tionen wie eh und je verbreitet sind und ot neben den wissenshatlihen
Erklärungen weiter bestehen. Doh auh bei vermeintlih Aufgeklärten gibt es einen
breiten Konsens darüber, dass der Klimawandel gerehte Folge unseres ausufernden
und energieintensiven Lebensstils ist. Und worin untersheidet sih die
Entsheidung, mit dem Fahrrad stat mit dem Auto zur Arbeit zu fahren, von einer
Bitprozession? Fragen, die wir auh heute kaum beantworten können. Nico Stehr
 
Search WWH ::




Custom Search