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Abgesehen von den religiös motivierten Interpretationen des Mitelalters ist die
zweite Hälte des 19. Jahrhunderts in Europa von besonderem Interesse. In seiner
Doktorarbeit „Klimashwankungen seit 1700“ von 189 0 71 beshrieb der Geograph
und Klimaforsher Eduard Brükner eine breite, international geführte Diskussion,
inwiefern das Klima eine konstante oder veränderlihe Größe sei. Es wurde damals
klar, dass das Klima niht nur in geologishen, sondern auh in historishen
Zeiträumen nennenswert shwankt. Genauso wie wir heute, spekulierte man dam-
als über das „Warum“ dieser kurzfristigeren Klimashwankungen; entweder wurden
natürlihe Gründe wie die Sonne oder andere unbekannte kosmishe Phänomene
herangezogen, oder aber menshlihes Eingreifen wurde als Ursahe genannt, vor
allem das Auforsten oder Abholzen der Wälder.
Die damalige Debate erinnert in vielerlei Hinsiht an die heutige: Es gab Parla-
mentsdiskussionen zu diesem Problem, etwa in Preußen, Italien und Russland. Ab-
shätzungen der Folgen derartiger Klimashwankungen wurden vorgenommen und
Überlegungen angestellt, wie aktiv dagegen vorzugehen sei. Brükner selbst war
überzeugt, dass es natürlihe Shwankungen seien, die mit einer gewissen Regel-
mäßigkeit ablaufen würden, genauer mit einer etwa 35-jährigen Periode, sodass 35
Jahre nah den letzten feuhteren Jahren wieder solhe feuhteren Jahre zu er-
warten sind. Im Nahgang zu seiner Analyse beshätigte sih Brükner mit mög-
lihen ökonomishen, sozialen und politishen Folgen und wandte sih auh in
Form von Vorhersagen an die Öfentlihkeit. Er shrieb zum Beispiel, dass mehr
oder weniger Niedershläge niht nur die landwirtshatlihe Produktion beein-
lussen, sondern auh indirekt zu Migrationsströmen und Vershiebungen im polit-
ishen Mahtgefüge der europäishen Staaten führen könnten: sowohl wegen verän-
derliher landwirtshatliher Erträge aber auh, weil die Flüsse mal besser, mal
shlehter als Transportwege genutzt werden konnten, je nah Wassermenge und
winterliher Vereisung. Diese Vorhersagen erwiesen sih als falsh, u. a. weil die
aukommende Eisenbahn den klimatish bedingten Ausfall von Flüssen als Trans-
portwege kompensierte und die Bedeutung der Landwirtshat als wirtshatliher
Motor abnahm. Damals wie heute ist dieses Beispiel ein Hinweis darauf, dass die
Klimawirkung nur zum Teil vom Klima abhängt und dass das eigentlihe Problem
in der Vorhersage der gesellshatlihen Folgen besteht.
Ein anderes Lehrstük ist das Shweizer Waldpolizeigesetz in der zweiten Hälte
des 19. Jahrhunderts, ein frühes Beispiel von Klimapolitik. 72 Als sih in der Shweiz
Übershwemmungen häuten, hate die sih neu bildende Forstwissenshat eine
 
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