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terrestrischen Feld, dessen Ursachen in Stromsystemen der
Ionosphäre sowie interplanetaren Stromsystemen und Ma-
gnetfeldern liegen.
Die ersten beiden Anteile sind über lange Zeiten kon-
stant. Insbesondere die Magnetisierung der Krustengesteine
ändert sich nicht, solange diese nicht über eine bestimmte
Temperatur, die Curie-Temperatur, aufgeheizt werden (sie-
he Abschn. 5.4 ) . Dagegen wechselte das Hauptfeld im Laufe
der Erdgeschichte mehrfach die Polarität seines Dipolanteils.
Ging man früher davon aus, dass diese Polaritätswechsel mit
Perioden in der Größenordnung von einer Million Jahren
auftreten, so ist die paläomagnetische Zeitskala heute sehr
viel feiner gegliedert und weist auch Polaritätswechsel mit
Perioden von einigen zehntausend bis hunderttausend Jahren
auf. Solche langperiodische Änderungen werden als Säkular-
variationen bezeichnet. Sie haben ihre Ursache in Prozessen
im äußeren Erdkern, welche die Polwanderung, Westdrift
und Feldumkehr des Magnetfelds Bewirken. Die Polarität
der gegenwärtigen magnetischen Brunhes-Epoche ist jedoch
seit 780 000 Jahren konstant. Die Variation des Erdmagnet-
felds in der geologischen Vergangenheit und die Methoden
zu seiner Untersuchung werden in Abschn. 5.6 näher disku-
tiert.
Im Gegensatz zu Haupt- und Krustenfeld weist das ex-
traterrestrischen Feld kurzperiodische Änderungen in einem
großen Spektrum an Perioden auf: tägliche Variationen, ma-
gnetische Stürme und Pulsationen mit Perioden von Sekun-
den, Minuten und Stunden (Abb. 5.16 ) . Ihre Ursachen liegen,
wie in Abschn. 5.2.2 diskutiert, im Sonnenwind, in Sonnene-
ruptionen und der Sonnenfleckenaktivität.
Das Hauptfeld enthält neben dem Dipolfeld Beiträge
des nicht dipolartigen Restfelds und regionaler Krustenan-
omalien, die ihrer Struktur nach durch 14 radiale Dipole
(Stromwirbel) dargestellt werden können. 94% des Erdfelds
können so erklärt werden, der Rest ist extraterrestrischen Ur-
sprungs.
Dem deutschen Mathematiker und Physiker Carl Fried-
rich Gauß (1777-1855), der mit dem deutschen Physiker
Wilhelm Eduard Weber (1804-1891) die Erforschung des
Erdmagnetismus maßgeblich vorantrieb, gelang als Erstem
die Trennung des Außenfelds vom Innenfeld über eine Ent-
wicklung nach Kugelfunktionen. Die Koeffizienten der Ku-
gelfunktionen müssen mit Hilfe von Daten aus Messungen
bestimmt werden, die das gesamte Erdmagnetfeld charak-
terisieren. Aus dieser Notwendigkeit heraus entstand der
von Gauß und Weber mit Unterstützung von Alexander
von Humboldt 1836 gegründete „Magnetische Verein“ mit
Sitz in Göttingen. Dieser, auch als Göttinger Magnetischer
Verein bekannt, war ein weltweites, geophysikalisches For-
schungsprojekt zur Erforschung der zeitlichen und räum-
lichen Veränderungen des Erdmagnetismus. Ihm gehörten
Wissenschaftler aus aller Welt an - nie zuvor gab es ein ver-
gleichbar großes internationales Forschungsprojekt. Erst 120
Jahre später wurde es durch das Internationale Geophysika-
lische Jahr (IGY) vom 1. Juli 1957 bis 31. Dezember 1958
übertroffen. Der Magnetische Verein gilt als erste interna-
tionale wissenschaftliche Gesellschaft und ist der Vorgänger
der heutigen IAGA (Kasten 1.1 ) . Sein Ziel war die koor-
dinierte, zeitgleiche Messung der Schwankungen des Erd-
magnetfelds an zahlreichen, über die ganze Welt verteilten
Messstationen. Während seiner sechsjährigen Tätigkeit von
1836 bis 1841 erfolgten die Messungen an 28 Termintagen
über jeweils 24 Stunden verteilt in Abständen von fünf Mi-
nuten. Bis zu 50 Observatorien beteiligten sich an diesem
Projekt, davon 35 in Europa, sechs in Asien, zwei in Afrika,
drei in Nordamerika und vier in der Südsee. Die Ergebnisse
wurden nach Göttingen geliefert, von Gauß und Weber wis-
senschaftlich bearbeitet und in sechs Bänden als Resultate
aus den Beobachtungen des magnetischen Vereins veröffent-
licht.
Die Koordination der hierfür erforderlichen internatio-
nalen Kooperation verdient auch heute noch größte Hoch-
achtung: Wurde dieser moderne, uns heute so natürlich und
geradezu selbstverständlich erscheinende Ansatz doch unter
den politischen Verhältnissen der deutschen Kleinstaaterei
und der nationalstaatlichen Zersplitterung verwirklicht. Es
gab weder ein einheitliches Maß- und Zeitsystem noch ein
effektives Postsystem für die Zustellung der Berichte an
den Verein. Für uns, die wir heute an die globale Über-
mittlung von Daten und Nachrichten in Sekundenbruchteilen
gewöhnt sind, sind die Beschränkungen der damaligen In-
frastruktur kaum mehr vorstellbar: Allein die Zustellung der
Berichte aus Übersee dauerte Wochen bis Monate. Und end-
lich angekommen in Deutschland, mussten für eine Sendung
auf ihrem Weg nach Göttingen in jedem Land (ob Baden,
Preußen oder Sachsen) unterschiedliche Entgelte entrichtet
werden. 53
5.3.1 Entwicklung des Erdmagnetfelds
nach Kugelfunktionen
Da das Magnetfeld B Dr V sich aus der räumlichen Ab-
leitung eines magnetischen Potenzials V ( 5.23 ) berechnet
und zudem außerhalb von Quellregionen divergenzfrei ist,
erfüllt es ebenso wie das Schwerefeld die Laplace-Gleichung
r B Drr V D
. Deren Lösung ergibt sich auf
der Oberfläche einer Kugel nach ( 4.50 ) in Kugelkoordinaten
V D 0
53 Dieses unübersichtliche und unflexible Postsystem wurde in
Deutschland erst im Jahr 1850 durch Gründung des Deutsch-Öster-
reichischen Postvereins verbessert, dem auch die Post der Thurn und
Taxis beitrat - zu spät für den Magnetischen Verein. Erst seit der
preußisch-deutschen Reichsgründung im Jahr 1871 gilt in Deutschland
ein einheitliches Postgesetz.
 
 
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