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ben neben uns hält. Das Fenster der Beifahrertür schiebt sich langsam nach unten. Sind
das die Gangster, die wir in Shymkent verpasst haben? Mir ist ein bisschen mulmig zu-
mute. Nein, es ist Nurlik, ein 25-jähriger Kasache mit Mutter und Frau. Und er fragt,
was ich mir noch eben gewünscht habe: »Can I invite you for food? Come to my house, please!«
Nurlik eskortiert uns weltmännisch mit dem schicken BMW durch Taras zu seiner
Wohnung, in der er mit seiner Frau Maral, seiner Mutter Sheripal und seinen zwei Brü-
dern lebt. Sie ist kleiner als unsere 75-Quadratmeter-Wohnung in Berlin - aber wie ge-
mütlich. Alles ist gemustert - und zwar jeweils in einem anderen Dekor. Der Teppich,
die Tapeten, die Gardinen, die Tischdecken, die kleinen Deckchen auf dem Fernseher
und dem Beistelltischchen, die Spitzendecken über dem Sofarücken und die Schürzen
und Kleider der beiden Frauen. Nichts Ungewöhnliches, aber jetzt, wo ich hier sitze und
es in Ruhe beobachten kann, fällt es mir zum ersten Mal so richtig auf. Der reinste Trip!
Paul und ich haben weiße Feinrippunterhemden an und Boxershorts, sonst nichts.
Die Unterhemden hat uns Nurlik geliehen, alles was uns gehört, hat seine Frau in die
Waschmaschine geworfen. Ob wir uns auch rasieren wollen, fragte Nurlik und hält uns
ein Rasiermesser hin. »Nein! Den lassen wir doch wachsen!«, antwortet Hansen, und
Nurlik krümmt sich vor Lachen. Es ist auch wirklich zu lächerlich. Seit drei Monaten
nicht mehr rasiert und alles, was wir zustande bringen, ist ein pubertärer Flaum an
Oberlippe und Kinn. Aber abgemacht, ist abgemacht - der bleibt dran. Wenn ich Han-
sen in dem weißen Unterhemd sehe, fällt mir durch den harten Kontrast auf, wie braun
wir inzwischen geworden sind. Und wie dünn, aber sehnig Hansens Beine und Arme
sind! Ich schaue an meinem Bauch herunter, der - obwohl ich tief in der Couch hänge,
kaum mehr zu sehen ist. Darauf kann man schon mal stolz sein.
Hansen sitzt mir schräg gegenüber auf der anderen Seite des kleinen Raums und hält
eine Dongbula im Arm, ein traditionelles kasachisches Zupfinstrument mit zwei Saiten.
Jeder Kasache kann es spielen, sagt Nurliks Bruder. Geduldig versucht Nurlik, meinem
Bruder ein kasachisches Volkslied beizubringen. Während Hansen, bereits etwas ange-
trunken vom lokalen Bier aus Plastikkanistern, konzentriert zupft, summt Nurlik die Me-
lodie. » Chensu!« , wiederholt er mehrfach, »chensu!« , was auch immer das heißen mag. Und
dann: »You play doublekatamej« - mit zwei Fingern gleichzeitig zupfen! Nurlik hält Zeige-
und Mittelfinger zusammen. Die Melodie nennt Nurlik das »Kasachstan secret« , weil sie das
Geheimnis für die richtige Partystimmung sei, sie scheint einfach, aber bei Hansen klingt
es immer ein bisschen anders. Nurlik ist unnachgiebig und zwingt Hansen beharrlich, es
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