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und jetzt komme ich mir vor wie ein totaler Schwächling. Schwach in dem Sinne, dass
ich komplett ratlos bin. Wie soll ich diesem wahnsinnigen Typen begegnen? Reden hilft
nicht, sich dumm stellen auch nicht, den Kampf aufnehmen ist erstens nicht mein Stil
und zweitens keine Option, denn wir sind den dreien körperlich eindeutig unterlegen.
Sasch hat uns voll im Griff. Wenn er will, kann er schlicht ausholen, uns zwei dünnen
Jungs ein paar Rippen brechen und das Abenteuer beenden. Jetzt greift er sich Hansen,
schlägt ihm mit der flachen Hand gegen den Helm und reißt ihn dann vom Rad. Han-
sens linker Unterschenkel reißt dabei am Zahnkranz auf. Er liegt auf dem Boden und blu-
tet, sein Gesicht schmerzverzerrt. Es macht mich rasend, wenn man meinem Bruder et-
was antut. Und nichts ist schlimmer, als ihm nicht zu Hilfe eilen zu können.
Zum Glück verstehen sich Zwillinge auch ohne Worte. Als ich Hansen einen Blick zu-
werfe, begreift er sofort. Ich simuliere einen Nervenzusammenbruch, rede wirres Zeug
und zittere und heule wie ein Schlosshund. Hier kriegt ihr was ihr wollt, ihr Vollidio-
ten - einen völlig verängstigten Wohlstandsbuben, den ihr in den Wahnsinn getrieben
habt! Zuerst scheint der Plan nicht aufzugehen, denn Sasch packt mich im Nacken und
verpasst mir noch einen heftigen Schlag ins Gesicht, um mich »zur Vernunft zu brin-
gen«. Als mein irres Gerede trotzdem nicht aufhört, scheint Sasch dem Spiel zu glauben,
denn immerhin hören die Hiebe auf, und die Arschlöcher biegen sich stattdessen vor La-
chen. Die ganze Zeit über versuche ich, während ich weiter zittere und heule, mit vor-
beifahrenden Autos Blickkontakt aufzunehmen, ohne dass Sasch davon etwas mitbe-
kommt. Aussichtslos. Die Autos fahren schnell vorbei. Entweder traut sich keiner einzu-
greifen oder sie erkennen den Ernst der Lage nicht.
Als Sasch meinen verzweifelten Blick in Richtung der Autos bemerkt, macht sein vom
Alkohol zermartertes Gehirn einen fatalen Interpretationsfehler: Er glaubt, ich hätte aus
Angst vor den vorbeifahrenden Autos in deren Richtung gestarrt, und drängt mich nun
auf die Gegenfahrbahn, um mich weiter zu demütigen. Ich spiele mit und lasse mich ab-
drängen. Da kommt, noch ein Stück entfernt, ein Lkw hupend auf uns zugerast und
macht zu meinem Schrecken keine Anstalten zu bremsen. War die Aktion ein Fehler? Ich
versuche, an Sasch vorbeizukommen, aber er versperrt mir den Weg. Ich bleibe ruhig
und mache mich innerlich bereit, mich vom Fahrrad in den Graben zu werfen. Ich bin
hellwach, die große, lähmende Angst kommt erst später. Sasch hält mich fest, während
sein Handlanger Hansen weiter mit Tritten malträtiert. Eine gefühlte Ewigkeit vergeht,
bis ich das erlösende Geräusch der quietschenden Lkw-Bremsen höre. Der Anhänger des
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