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in den unteren Teil hineingesteckt. Der Deckel bleibt offen, damit ein bisschen Luft in
das Minigewächshaus hineinkommt. So passen die Pflanzen in den Flaschenhalter. Gute
15 unterhaltsame Minuten später hat Paul seine Tomatenpflanze und ich meine Gurke
am Fahrrad, die wir feierlich »Tomaso« und »Gurke« taufen.
Weil wir in Uralsk neben den Einkäufen noch eine unserer berühmt-berüchtigten
Ausmist-Aktionen veranstaltet haben, bei der wir uns von überflüssigen Medikamenten,
Kleidung wie Handschuhen und Wollmützen und bisher nicht gebrauchtem Werkzeug
getrennt haben, kommen wir an diesem Tag nicht mehr besonders weit. Wir radeln
nach der Tomaten-Gurken-Installation noch eine Weile vor uns hin, bis wir einen Platz
gefunden haben, der uns zusagt. Wie immer nicht allzu weit von der Straße entfernt,
aber so, dass man vor direkten Blicken geschützt ist. Wir machen uns gerade daran, den
fast luftdichten Zelteingang durch eine durchlässigere Fliegengaze zu ersetzen, als ein
UAZ -Militärjeep angeprescht kommt und zwei uniformierte Männer aussteigen.
Mir rutscht das Herz in die Hose. Was haben wir denn jetzt wieder angestellt? Harsch
weisen sie uns zurecht, nur verstehen wir nicht, was sie uns eigentlich mitteilen wollen.
Aber als wir ihnen unsere Geschichte erklären, sind sie plötzlich verständig und hilfsbe-
reit. Sie geben uns zu verstehen, dass wir unser Zelt exakt über einer Hochdruckölpipeli-
ne aufgeschlagen haben. Ob wir unser Nachtlager nicht bitte einfach 20 Meter weiter er-
richten könnten. Vor Erleichterung lachen wir laut auf, die müssen denken, wir seien to-
tal bekloppt. Das denken sie sowieso, bzw. das denken eh alle hier. Ständig werden wir
gefragt: »Was macht ihr denn überhaupt, wo sind eure Frauen, eure Kinder?« Dass zwei
junge Männer im besten Alter von gerade dreißig Jahren auf dem Rad um die halbe Welt
fahren, unverheiratet sind und keine Kinder haben, ist allen ziemlich unverständlich.
Nach dem Standardabendessen aus Kartoffeln, Butter und Karotten sitzen wir noch ei-
ne Weile am Lagerfeuer und schnipsen Steinchen in die Glut. »Hm, Paul, die haben
doch eigentlich recht. Wo sind unsere Frauen und Kinder? Warum benehmen wir uns
mit dreißig Jahren immer noch, als seien wir 17 und frisch von zu Hause ausgezogen?«,
frage ich.
»Aber da sind wir doch nicht die Einzigen, das mag ja vielleicht in Kasachstan unnor-
mal sein, aber überleg doch mal in Berlin … Kennst du irgendjemanden mit Kind?«
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