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Das Letzte, an das ich mich erinnere, ist, dass Pjet eine neue Runde Wodka bestellt und
schon wieder Armdrücken will.
Ich öffne die Augen: Ich liege angezogen auf dem Boden eines Hotelzimmers auf einer
Matratze. Es ist mein Hotelzimmer - ist es mein Hotelzimmer? Ja, ist es. Erleichterung.
Was ist passiert? Panik - ich bin ich Kasachstan. Ich richte mich auf. Viel zu schnell,
mein Kopf hämmert. Hansen liegt zusammengerollt auf seinem Bett, die Kiefermuskeln
entspannt, gibt der geöffnete Mund den Blick auf seine herabhängende Zunge frei.
»Hansen«, lalle ich, »Haansen!« Er wacht nicht auf. Ich werfe einen Socken nach ihm,
immer noch keine Reaktion. Ich drehe mich zur Seite und rüttle an seinen Fuß. Mit lau-
tem Stöhnen dreht er sich um. Als er die Augen öffnet, sieht er aus wie Johnny Depp in
dem Film »Rum Diary«. Schweigen. Hansen scheint zu versuchen, sich an letzte Nacht
zu erinnern, und ich lasse meinen Blick durch's Zimmer schweifen.
»Scheint alles noch da zu sein«, stelle ich fest, worauf Hansen aufgeschreckt erwidert:
»Scheiße! Wo ist der Rucksack?« Und tatsächlich, der Rucksack mit all unseren Wertsa-
chen und Papieren fehlt. Dieses wichtige Detail hatte ich bei meiner ersten Begutachtung
großzügig übersehen. Krampfhaft versuche ich, mich zu erinnern, aber das Armdrücken
ist der letzte dumpfe Anhaltspunkt.
»Die Rezeption«, platzt es nach einer Weile aus Hansen heraus: »Wir hatten die
Wertsachen doch an der Rezeption abgegeben.« Wieder Erleichterung. Bis auf ein ziem-
liches Blackout scheint alles gut gegangen zu sein, laut Reisekasse haben wir sogar nur
fünf Euro für das Saufgelage ausgegeben, das wären in Wodka umgerechnet immerhin
anderthalb Liter. Mir wird kotzübel. Schnell mixe ich mir und Hansen mein bewährtes
Katergetränk: Salzwasser und Vitamintabletten. Auf die richtige Dosis Salz kommt es da-
bei an.
»Lass uns einen Tag verlängern, ich kann heute unmöglich auf's Rad«, sagt Hansen
und nimmt einen Schluck.
Ich nicke, stehe wortlos auf und suche den Zimmerschlüssel.
»Wo gehst du hin?«, fragt Hansen.
»Rezeption, Rucksack, Piroschkas, viele Piroschkas.«
»Und Kartuschkas!«, ruft mir Hansen hinterher.
Die Straße ist verlassen, es ist zehn Uhr morgens. Gott sei Dank hat der Piroggen- und
Kartuschkastand aber geöffnet. »Pjat Kartuschka, Pjat Pirogga, Poscholsta« , beuge ich mich vor
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