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der Mann nennt seinen Namen, Sergej heißt er. Ich bin auf ein beleidigtes Gesicht einge-
stellt, als ich die Wodkaeinladung ablehne, bekomme aber als überraschende Antwort
ein lautes Lachen zu hören. Es sei frisches, eiskaltes Wasser, welches er selbst mit seiner
Pumpe aus dem Boden holt, gibt mir Sergej zu verstehen.
Er reicht mir die Tasse, und noch etwas skeptisch nehme ich einen ersten, kleinen
Schluck. Es ist herrlich, einfach köstlich! Er sieht mir meine Begeisterung an und schenkt
nach. Vermutlich vom Gluckern des Wassers wird Paul aus seinen Träumen gerissen.
Auch er erfrischt sich mit mehreren Tassen. Sergej bietet uns noch an, unsere Wasservor-
räte aufzufüllen, und zeigt Paul stolz seine Pumpe. Angetan von seiner Hilfsbereitschaft,
verabschieden wir uns mit vielen herzlichen und ausladenden Gesten von Sergej und sei-
nem struppigen Hund Puma, der noch schnell das Vorderrad von Pauls Fahrrad markiert,
und machen uns wieder auf den Weg. Wasser - und daran werden wir im späteren Ver-
lauf der Tour noch öfter denken - ist das kostbarste Gut. Sergej ist zu Recht stolz auf sei-
ne Wasserpumpmaschine.
Ein paar Kilometer vor Uralsk kränkelt Paul, und das liegt nicht an Sergejs gutem
Wasser, sondern ganz einfach an Überanstrengung. Manchmal kann man die Grenzen
der eigenen Leistungsfähigkeit kaum einschätzen. Der Sprint durch Russland hat uns alle
unsere Energiereserven gekostet. Paul wird übel, und er bekommt heftige Glieder-
schmerzen. Wir hatten ja schon geplant, eine mehrtägige Erholungspause in Uralsk ein-
zulegen, aber so wie Paul gerade aussieht, weiß ich nicht, wie ich ihn die letzten Kilo-
meter bis in die Stadt bringen soll. Er kann sich kaum noch aufrecht halten. Ich fahre
dicht vor ihm, um ihm Windschatten zu geben. Mit letzter Kraft schleppt er sich in ein
Hotel, in dem wir ausgenommen werden wie die Weihnachtsgänse. Die sehen uns an,
dass wir nicht in der Lage sind, noch groß rumzufeilschen. Teure, stinkende Zimmer, ei-
ne kalte Dusche mit schimmligen Wänden und Kaugummi auf den Kopfkissen, aber für
heute ist mir das alles egal.
Am nächsten Tag finden wir für einen günstigeren Preis ein Zimmer mit antiken
Tropenhotelstyle-Möbeln und orientalischen Teppichen. Kleines Manko: Die Betten sind
etwa 1,50 Meter lang, da legt man sich als knapp Zwei-Meter-Riese lieber auf dem Bo-
den daneben ab. Paul geht es wieder ganz passabel, daher genehmigen wir uns noch ein
ordentliches Wodkabesäufnis mit unserem Freund Arslan vom Wochenmarkt.
»Vielleicht brauchen wir zumindest einen Goldzahn, oder?«, lallt Paul, während er in
die uns lachend zuprostenden Gesichter schaut.
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