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mer Gegenwind, kein Wasser mehr - die Laune ist am Tiefpunkt. Das Sprechen haben
wir uns weitestgehend abgewöhnt. Die meisten Konversationen bestehen nur noch aus
einzelnen Worten, weil das einfach effizienter ist. Eine Mittagspause hört sich in etwa so
an. Ich: »Pause.« Hansen: »Okay.« Ich: »Brot.« Hansen kramt die letzten Krumen aus
den Tiefen der Tasche hervor. Schweigendes Kauen. Wenn das so weitergeht, schaffen
wie es nie rechtzeitig nach Kasachstan. Wir nehmen uns vor, die Mittagshitze abzuwar-
ten und dann bis in den kühleren Abend hinein zu fahren. Eine Strategie, derer wir uns
in der Wüste noch öfter bedienen werden. So sitzen wir nun circa 20 Kilometer vor Sa-
ratow am Straßenrand, im Schatten junger Birken. Die sandige Böschung wimmelt von
kleinen, sehr aggressiven Ameisen, die uns unser letztes Essen abzwacken wollen. Ir-
gendwie sind sie ja niedlich, wie sie eifrig nach jedem Brotkrümel suchen und sich mit
manchem größeren Fragment gnadenlos übernehmen. Wenn sie Emotionen hätten und
sprechen könnten, würden sie sicher laut fluchen.
Auch die Lkw und andere Fahrzeuge tun sich mit der steil ansteigenden Straße
schwer. Ein paar Hundert Meter unterhalb unseres Rastplatzes sehen wir zwei Jungs, die
auf einem Roller den Berg hochfahren, na ja, besser gesagt, einer der beiden sitzt auf
dem in höchsten Drehzahlen kreischenden Gefährt und raucht eine Zigarette, während
der andere hinterherläuft und bei drohendem Stillstand schieben muss. Von der anderen
Seite nähert sich ganz langsam ein Baufahrzeug: »Pffft, Pfft, Pfft.« Es besprüht den Mit-
telstreifen mit neuer Farbe. Hinten auf der Ladefläche sitzt auf einem ausgedienten Auto-
sitz ein rauchender Mann neben einer Tonne voller weißer Farbe und betätigt Pi mal
Daumen den Sprühhahn. Alles, was auf der Straße liegt, wird einfach mitgefärbt, und so
bekommt ein platter Igel noch einen Rennstreifen verpasst. Die Autos, die ungeduldig
hinter dem langsamen Fahrzeug herfahren, ignorieren eiskalt die frisch verrichtete Ar-
beit und zerfahren gnadenlos die Farbe - was für ein Anblick.
Unser russisches Geld ist beinahe aufgebraucht, alles hier ist so viel teurer, als wir er-
wartet hatten. Selbst Angebote wie »Zwei Kuchen zum Preis von einem« müssen wir
ausschlagen. Wir sind abgebrannt. Müssen mit unseren Ressourcen besser haushalten. So
versuchen wir, nicht in den Dörfern, sondern auf dem Land an günstigere Nahrung zu
kommen. Als wir später am Tag an einem kleinen Bauernhof beschließen, noch ein Päu-
schen zu machen, haben wir Glück: Die Bäuerin hat gerade für eine aus Kasachstan er-
wartete Busladung Piroggen und eine Art Buletten gemacht. Sie ist fürsorglich wie eine
Mutter, und als sie uns abgemagerten Radfahrer sieht, lässt sie uns für umgerechnet 1,50
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