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kauer und spricht super Englisch mit einem sympathisch-schweren russischen Akzent.
Stanley rettet unsere etwas gedrückte Laune. Manchmal braucht man einfach eine dritte
Position, damit sich die Fronten abbauen. Mit viel Humor und Engelsgeduld erklärt uns
der ehemalige Sportschwimmer: »I hchave bin sportsman all my life, bin to New York and Hamburg,
hchave business in Moskva and Jermany, ask me anything, I'll trry to ixplein.« Tatsächlich, auf jede noch
so blöde Frage weiß Stanley, der eigentlich Stanislaus heißt, eine Antwort. Ein bisschen
erinnert er mich an meinen Opa mit seiner lustigen, warmen und fürsorglichen Art. Er
zeigt uns die schönste Stelle im Gorki-Park und verabschiedet sich nicht, ohne mir seine
Nummer zu geben: »If you hchave trrouble in country side, call me any time, auff Widderssechhen.«
Der Gorki-Park ist riesig, überall tummeln sich Menschen, die spazieren gehen, ir-
gendwelche undurchsichtigen Geschäfte tätigen oder einfach faul im Gras sitzen, so wie
wir. Aber selbst wenn wir uns unauffällig verhalten, ziehen unsere Fahrräder doch jede
Menge Aufmerksamkeit auf sich. Hansen kommt nicht zu seinem heiß ersehnten Mit-
tagsschläfchen. In der nächsten Stunde werden wir von vier Menschen nach Werkzeug
gefragt, um ihre Räder und Rollerskates zu reparieren. Hansens Mechanikerherz kann es
nicht lassen, und er legt überall selbst Hand an. Er repariert sogar den Platten eines Pär-
chens, das sich per Rad Moskau anschaut. Vielleicht könnten wir hier irgendwann eine
kleine Werkstatt aufmachen. Die letzte Stunde vor Sonnenuntergang sitzen wir auf einer
Mauer am Fluss, trinken Bier aus einer Ein-Liter-Dose und genießen die Aussicht auf die
im Licht bunt glitzernde Wasseroberfläche und die goldenen Kuppeln.
PARTY / 1. MAI / MOSKAU
Hansen
Eigentlich wollte ich bloß noch ins Hotel und am nächsten Morgen so früh wie möglich
raus aus dieser lauten, sündhaft teuren Stadt. Als der Wecker um sechs Uhr morgens
klingelt, drücke ich aber immer wieder auf Snooze, bis es beinah schon Zeit ist auszuch-
ecken. Die Träume in der Snooze-Phase sind immer die schlimmsten. Wahrscheinlich
bestraft man sich selbst unterbewusst dafür, dass man längst aufstehen wollte. In mei-
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