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TOUR DE RUSSIE
Moskau bis Uralsk
SCHLECHTE LAUNE / 30. APRIL / MOSKAU
PAUL
Ich stehe mit den Rädern im frischen Wind vor einer Bank, einem Blumenladen und ei-
nem Kiosk irgendwo in Moskau. Ganz nach dem Motto: »Wenn er eh schon auf zwei auf-
passt, kann er meins auch noch haben« kam eben ein junger Mann vorbei, hat mir sein
Rad anvertraut und ist im Kiosk verschwunden. Ob er wohl wiederkommt? Das Ganze ist
fast eine halbe Stunde her. Hansen ist in der Bank und versucht, Bargeld nach Hause zu
transferieren. Wir haben einfach zu viel davon, und es ist uns zu riskant, das die ganze
Zeit mitzuschleppen. Gerade kommt er zurück, die verkniffenen Gesichtszüge verraten
seinen Groll: »Nachdem sie mich 20 Minuten haben warten lassen, sagen die mir, sie
bräuchten meinen übersetzten Pass, in Kyrillisch!«
Der junge Mann holt sein Fahrrad ab und wirft mir ein freundliches »spasibo« zu. Bei
Hansen hingegen ist richtig schlechte Laune angesagt, und mit ihm Sightseeing zu ma-
chen, ist der reinste Horror: Er hat kein Bock auf Sehenswürdigkeiten, sondern will lieber
im Park sitzen und entspannen. Im Moment ist er »erlebnisunfähig«, wie mein Ge-
schichtslehrer es ausgedrückt hätte.
»Mann, Hansen, du tust so, als seist du jede Woche in Moskau! Weißt du eigentlich,
was uns die nächsten ich-weiß-nicht-wie viel Wochen erwartet? Karge, erst russische,
dann kasachische Landschaft. Wenig Menschen, eingeschränkte Küche, all das, worüber
du dich in den letzten Tagen beschwert hast. Genieß es doch jetzt ein bisschen!«
»Ich genieße, dass ich endlich mal nicht zehn Stunden auf diesem harten Scheißsattel
sitze und meinen Po durchschubbere, das genieße ich gerade. Lass mich doch einfach mit
deinem blöden Sightseeing in Ruhe!«
Manchmal hilft ein gutes Essen. Ich kann Hansen überreden, etwas von dem Bargeld,
das er nicht einzahlen konnte, in einen schmackhaften Borschtsch zu investieren, und sei-
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