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Das ganze Zimmer hängt voll mit unseren nassen Sachen, die wir zum Trocknen aufge-
hängt haben. Ich positioniere das Handy vorsichtig in der Nähe der bullernden Heizung
und lege mich in meinem Schlafsack auf die verschlissene Bettwäsche. »Wie bist du
denn drauf, Paul? Da haben wir ausnahmsweise ein hübsches Bett, und du legst dich in
deinen Schlafsack?«
»Hansen, schau dich doch um! Siehst du, was dieses Poster mit dem Sonnenunter-
gang uns sagen soll? Das ist eine Werbung für Kondome. Das hier ist kein Hotel zum
Übernachten, hier wird gevögelt!«
»Aber immerhin scheint man Kondome zu benutzen«, schlussfolgert Hansen nüch-
tern.
»Vielleicht auch gerade nicht! Vielleicht hätten die das vom Hotel aus Hygienegrün-
den nur gern … und außerdem Kondome hin oder her, das macht die Sache auch nicht
wirklich besser!«
»Komm schon, Paul, sei doch nicht so prüde, das ist ein Hotel d'Amour … ist doch
schön!«, scherzt Hansen.
»Lass gut sein, Mann, sonst baue ich gleich noch das Zelt im Zimmer auf.« Ich rut-
sche tief in den Schlafsack und schlafe ein.
Am nächsten Tag lässt sich das iPhone tatsächlich wieder einschalten, nur ein paar
hübsche Wasserflecken auf dem Display erinnern an das Bad in der Jackentasche. Wir
versuchen, möglichst harmlos und unauffällig zu wirken, als wir am nächsten Tag ohne
Pässe die Grenze zu Lettland überqueren. Aber offenbar sind zwei voll bepackte Radfah-
rer spannend genug, sodass man sie auch ein paar Kilometer nach der Grenze rauswin-
ken muss. Uns rutscht das Herz in die Hose. Schicken die uns jetzt zurück? Kann nicht
ein Grenzübertritt innerhalb der EU mal reibungslos verlaufen? Die Grenzbeamten mus-
tern neugierig unsere Ausrüstung. Als sie uns fragen, woher wir kommen und wohin
wir wollen, und wir wahrheitsgemäß antworten, dass wir auf dem Weg nach China
sind, schauen sie uns halb belustigt, halb fassungslos an. »Die sind doch bekloppt«, ruft
der eine dem anderen zu, das kann ich verstehen, auch wenn ich kein Wort Lettisch
spreche. Aber das denken sowieso alle hier, denen wir begegnen. Jetzt kommt der Mo-
ment, vor dem wir uns die letzten 70 Kilometer gefürchtet haben: »Your passports!«
Stille.
Ich schaue Hansen fragend an. »We lost our passports« , versucht er schüchtern.
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