Travel Reference
In-Depth Information
darüber liegenden Urwald, in dem wir uns wider Erwarten erneut befinden. Das gesam-
te Tal wird von einem Fernseher beschallt, aus dem eine Version des Schnulzenschlagers
»Time to Say Goodbye« von Andrea Bocelli donnert, den die Chinesen so sehr lieben.
Schon in Kashgar haben wir das Lied rauf und runter gehört. Man könnte meinen, es sei
die chinesische Nationalhymne. Selbst hier, im Dschungel, schallt es von der Felswand
wider, sodass die genaue Quelle nicht zu orten ist, aber als um Punkt 20 Uhr das
CCTV
-
Jingle ertönt, wissen wir, dass diese endlose 20-Minuten-Version des Liedes, gesungen
von einer piepsigen Frauenstimme, Teil einer Fernsehsendung ist. Wir essen ein paar
Kekse aus der Bäckerei und gehen vielleicht schon zum vorvorvorletzten Mal in unserem
kleinen Heim aus silikonbeschichtetem Ripstop-Textil schlafen. Leise fängt der uns nun
wieder häufiger heimsuchende Regen an, auf das Zeltdach zu trommeln. So unange-
nehm es draußen ist, zum Einschlafen ist es das beste Geräusch.
CROWDFUNDING / 14. OKTOBER / YICHANG
PAUL
Wir sind auch die nächsten Tage noch zwischen Dschungel und Bergen unterwegs. Am
14. Oktober stehen wir früh auf. Wir haben die Nacht in einem kleinen Hotel mit blau-
em Fensterglas verbracht. Die getönten Scheiben vermitteln den Eindruck, draußen wäre
graue Winterstimmung. Viele der Häuser hier haben gefärbte Scheiben anstelle von Gar-
dinen. »Das würde mich wahnsinnig machen«, sagt Hansen und schiebt mit Schwung
das Fenster auf. Tatsächlich erwartet uns heute zum ersten Mal seit Langem ein blauer
Himmel. »Endlich wieder ein sonniger Tag!« Ich freue mich darauf, den ganzen Tag
über im
T
-Shirt zu fahren.
Hansen und ich machen uns heute auf den Weg über die letzten kleinen Bergkämme,
die uns noch von dem Flachland trennen, mit der Aussicht, es heute zu schaffen, denn es
sind nur noch knapp 50 Kilometer bis zum letzten Pass. So dachte ich zumindest, doch
mein Navigationsprogramm lag wohl leider falsch. Am Vortag hatte es noch angegeben,
es seien 50 Kilometer, aber als ich die Strecke vom jetzigen Ort aus aktualisiere, sind es
