Travel Reference
In-Depth Information
men. Da fragt man sich, wie die Autos trotz allem mit über 100 Stundenkilometern an
uns vorbeirasen können.
»Paul, wir kriechen voran wie der letzte Senioren-Sonntagsfahrklub«, reißt mich
Hansen aus meinen Gedanken.
»Hey, was erwartest du, wir sind gerade einmal zwei Tage unterwegs!«
»170 Kilometer pro Tag von jetzt an, bis wir die russische Grenze erreicht haben.«
»Du spinnst, das ist total unrealistisch. Wir fahren uns ein! Und außerdem gibt es
noch einiges, das wir vor der russischen Grenze erledigen müssen. Ich sage nur: Visa!«
»Okay, schlag du was Konstruktives vor.«
»Gib mal die Karte!«
Hansen holt die Karte, und ich fahre mit einem kleinen silbernen Kilometermesser
die Strecke ab. Man kann auf einem Rädchen den Kartenmaßstab einstellen und dann an
einem beliebigen Punkt auf der Karte loslegen und die gewünschte Strecke abrollen, so
ermittelt man die tatsächlichen Streckenkilometer, ganz manuell. Ich liebe dieses Ding,
meine Exfreundin hat es mir vor der Ungarntour geschenkt - man fühlt sich immer ein
bisschen wie ein Entdecker aus dem 19. Jahrhundert.
»Sag an, Mr. von Humboldt, was ist der Plan?«, macht Hansen sich über mich lustig.
»Wir müssen 720 Kilometer bis zur russischen Grenze schaffen - in fünf Tagen. Lass
uns einen kleinen Puffer einplanen, das macht 140 Kilometer am Tag.«
»Okay, abgemacht. Aber morgen machen wir 170!«
»Ja, klar, Hansen, weil du es bist …«
Bleibt nur zu hoffen, dass die Visa tatsächlich vor der russischen Grenze auf uns war-
ten, denn ansonsten hätten wir uns die ganze Eile komplett sparen können. Aber das
Thema spreche ich jetzt lieber nicht an.
Unsere erste Grenze muss gefeiert werden, der erste Abend im Ausland. So sitzen wir
entspannt am Lagerfeuer, circa 35 Kilometer hinter der polnischen Grenze, trinken
Żywiec-Dosenbier und essen Spätzle mit puren passierten Tomaten, über dem eigenen
Feuerchen gekocht: ein Festschmaus! Heute Abend ist es etwas wärmer, fast sommerlich.
Ein kleines Flämmchen nagt noch mit genüsslichem Knistern an dem letzten Stück Holz.
»Ich habe das Gefühl, das ist das erste Mal seit Langem, dass wir richtig entspannt
und friedlich zusammensitzen, oder?«, frage ich Hansen.
Search WWH ::




Custom Search