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Motiviert und froh über den lang ersehnten Klimawechsel erklimmen wir einen
knapp 350 Meter hohen und 15 Kilometer langen Pass in etwas mehr als einer Stunde.
Weil zusätzlich die Landschaft etwas dünner besiedelt ist, beschließen wir, uns für den
Abend und Morgen einzudecken, um endlich mal wieder im Zelt zu schlafen. Tatsäch-
lich finden wir in der Dämmerung einen Schlafplatz an einem Fluss und kochen Eierreis.
»Ich habe mittlerweile immer Angst, es könnte die letzte Nacht im Zelt sein«, sagt Paul,
bevor er einschläft.
Mitten in der Nacht wache ich auf, Paul ist ebenfalls wach und fragt mich: »Wie geht
es dir?«
»Ich habe Darmkrämpfe, und mir ist kotzübel«, stöhne ich genervt. »Bestimmt Sal-
monellen von den Eiern!«
»Aber dann müsste ich das doch auch haben!«, höre ich Paul sagen, bevor ich aus
dem Zelt stürme und mich übergebe. Die ganze Nacht geht das so weiter und am nächs-
ten Morgen liege ich völlig erschöpft im Zelt.
»Du bist ja ganz bleich!«, sagt Paul besorgt und kriecht aus dem Zelt, um sich Früh-
stück zu machen.
»Haben wir noch Wasser?«, frage ich zu ihm heraus.
»Kaum«, antwortet er und reicht mir die fast leere Flasche, »und an dem Fluss ist al-
les abgestorben, was näher als ein Meter am Wasser steht, also das würde ich nicht trin-
ken.«
Wir entscheiden, uns ein paar Kilometer weiterzuschleppen und in ein Hotel gehen,
wo ich mich auskurieren kann. Leider kommt ausgerechnet heute für Ewigkeiten keines,
sodass ich mich fast den gesamten 1200 Meter hohen Pass in die Berge hochquälen
muss. Der Weg ist geradezu gepflastert mit plattgefahrenen riesigen Gottesanbeterinnen.
Nach einiger Zeit fällt uns auf, dass neben jeder ein langer, sich windender schwarzer
Wurm liegt, jeweils circa 30 Zentimeter lang, aber nur einen halben bis einen Millime-
ter dick. »Das kann kein Zufall sein«, kombiniere ich und suche im Internet nach einer
Erklärung. Tatsächlich sind diese Würmer Parasiten, die bis zum Tod des Wirtes im In-
neren der Insekten hausen und dann hervorkriechen. Eine ekelhafte Vorstellung, aber ir-
gendwie wird mir anhand der Sache erneut deutlich, wo wir gerade sind, und ich bin
erstaunt darüber, wie wir es überhaupt hierher geschafft haben. Ganz besonders in so ei-
nem Moment, in dem es mir so elend zumute ist. Ich bin nicht irgendwo in Europa,
sondern weit weg von zu Hause, und ich bin mit dem Rad hierhergefahren.
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