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So dachte ich, aber Pustekuchen, denn sobald ich Ruhe um mich herum habe, be-
ginnt sich der lange gelbe Notizzettel in meinem Kopf auszurollen, und ich fange an, die
imaginäre To-do-Liste abzuhaken: Postnachsendeauftrag, check, Auslandskrankenversi-
cherung, check, Visa, kein check, ein ziemlicher Stressfaktor, denn die neuen Pässe mit
den Visa müssen uns nach Lettland nachgeschickt werden. Vor unserer Abreise haben
wir es nicht mehr geschafft, das alles unter Dach und Fach zu bringen. Mietdauerauftrag,
check, Erste-Hilfe-Tasche, check, Gaskartusche … »Hansen, Mist! Wir haben vergessen,
Gaskartuschen zu besorgen!«
»Dann machen wir eben ein Feuerchen«, gibt Hansen nüchtern zurück und zieht sich
den Schlafsack übers Ohr. Bevor mir noch weitere Dinge einfallen, die ich vergessen ha-
be, schlummere ich ein.
Der nächste Tag verläuft nicht viel anders. Es schneeregnet, die Temperaturen sind knapp
unter dem Gefrierpunkt, und richtig weit kommen wir nicht. Wir haben die Branden-
burger Seenplatte hinter uns gelassen, und die Fichtenwälder mit moosigem Boden wei-
chen langsam großen brachliegenden Feldern. Vereinzelt stehen kleine Birkengrüppchen
in der Mitte der Felder, wie Palmeninseln verloren im weiten Meer. Die Straßen sind
hinter dem Grenzübergang nach Polen deutlich schlechter geworden, die Wurzeln der
Alleebäume heben den Asphalt an vielen Stellen zu hohen Schwellen an und haben hier
und da die Straße über ihre ganze Breite aufgerissen. An einer kleinen Kapelle am Stra-
ßenrand halten wir an, um eine Pause zu machen. Genau in diesem Moment reißt der
Himmel auf, und die Sonne vertreibt mit ihren angenehmen Strahlen die Kälte eines
feuchten Apriltages. Vögel fangen an zu zwitschern, und der Geruch der Luft verspricht
wärmeres Wetter.
Ich schaue mich um. Die Landschaft erinnert mich an die Gegend am Bodensee, in
der ich aufgewachsen bin. Nur Berge gibt es hier nicht so viele, genau genommen gar
keine. Eine hügelige Erhebung im Osten wird wohl die einzige Herausforderung an die-
sem Tage sein. Ein Traktor fährt an uns vorbei, bestückt mit schwerem Gerät. Über ihm
kreisen Möwen wie die Geier. Ein seltsamer Anblick. Ich dachte immer, Möwen gäbe es
nur am Meer.
Wir sind zwar erst ein paar Tage unterwegs, aber meine Handgelenke fangen schon
an weh zu tun. Ein Schlagloch nach dem anderen staucht sie wieder und wieder zusam-
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