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»Na, für deine Plauze brauchen wir schon ein bisschen mehr als nur 13000 Kilome-
ter«, lacht Hansen.
Eigentlich haben wir die gleiche Statur, mit dem Unterschied, dass ich normal dünn
bin und Hansen noch ein bisschen dünner, und ja … spätestens seitdem ich zwei Jahre
lang jeden Abend mit meiner Exfreundin Marie leckere Sahnesoßen verspeist habe, habe
ich minimal Speck über den Hüften angesetzt - Hansen nennt es trotzdem »Plauze«.
Nachdem wir im mittlerweile strömenden Regen unser erstes Lager abgebaut haben,
setzen wir uns auf die Räder und steuern gen Osten. Das feuchte Zelt ist ultraschwer, das
hätten wir eigentlich trocknen lassen müssen. Ich bin heilfroh, Hansen immerhin nicht
mehr auf diesem selbst gebastelten Fahrradmonstrum zu sehen, mit dem er damals von
Maastricht nach Mailand gefahren ist. Diesmal haben wir beide dieselben schnieken
schwarzen Tourenmaschinen, die uns Wolfgang von Serpentine Velosport in Hilzingen
und der Hersteller tout terrain gesponsert haben - und das, ohne uns überhaupt jemals
getroffen zu haben. Da soll noch einer den Schwaben nachsagen, sie seien geizig! Ach,
der Bodensee …
Weit kommen wir heute nicht, aber das war abzusehen. In der Nähe von Kagel su-
chen wir uns ein Plätzchen und bauen das Zelt auf. Innen drin ist es kuschelig, aber nur,
wenn man im Schlafsack dicht nebeneinander liegt. Hansen und ich schauen raus: Vor
dem Zelt steht eine alte Eiche, die von einem Biber getötet wurde, halb angefressen hat
der miese Typ sie stehen lassen. Aber vielleicht braucht der Baum gar kein Mitleid, es ist
arschkalt und schneit, der Wind pfeift, und ich kann mir nicht vorstellen, dass die Eiche
es genießen würde, hier im eiskalten Wind zu frieren.
»Hast du schon das Gefühl, unterwegs zu sein, Paul?«, fragt Hansen. Wir haben den
ganzen Tag über kaum gesprochen, weil wir mit dem blöden Schneeregen genug zu
kämpfen hatten.
»Ich glaub, heute Mittag habe ich zum ersten Mal realisiert, dass wir gerade Richtung
Shanghai fahren, auch wenn wir erst in Brandenburg sind«, antworte ich.
»Wir können noch zurück, Paul, dein warmes Bettchen ist höchstens 70 Kilometer
entfernt!«
Tja, verführerischer Gedanke, aber kein Bett der Welt geht über einen Schlafplatz am
See, und wenn der Biber die Zeltstangen in Ruhe lässt, werde ich hier heute selig schla-
fen.
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