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Länge zieht. Ich könnte kotzen. Das Einzige was mich weitertreibt, ist der Gedanke dar-
an, endlich in Shanghai einzufahren, alles hinter mir zu haben.
»Wie viele dieser Scheißpässe haben wir eigentlich noch vor uns?«, frage ich Paul,
der gerade navigiert. »Acht«, ächzt der. Die Zahl hat er aber bereits vor dem vorletzten
Pass genannt. Es ist, als ob immer neue Berge aus dem Nichts auftauchen, die wir müh-
sam überqueren müssen. Ich habe irgendwo zwischen Golmud und Yushu aufgehört, sie
zu zählen, irgendwann dort muss die Bergeuphorie in Bergalltag umgeschlagen sein.
Mittlerweile ist es nur noch Bergtortur. Wenn ich auf dem letzten dieser Acht stehe,
werde ich auch mal wieder anhalten und ein Foto machen, den Blick genießen, vor al-
lem im Bewusstsein, das letzte Kapitel dieser Tour zu beginnen, die Abfahrt und die Ein-
fahrt in unser Ziel Shanghai. Ich male mir den Tag aus, an dem wir endlich ankommen:
»Weißt du was, dann gehen wir als Erstes in eine gemütliche Bar, lassen uns von guter
Musik berieseln und trinken kaltes Bier, snacken Erdnüsse und Chips, und sitzen einfach
nur da, ohne Fahrrad, ohne Gepäck, im Warmen, im Trockenen, in sauberen Klamotten,
frisch geduscht, und um unsere gesamte Reise und alle Geschichten und Erfahrungen
reicher!«
»Wir holen uns alles an Leckereien, die es da gibt, viel zu viel, und setzen uns ir-
gendwo in einen Park und essen, bis wir platzen«, steigt er ein.
»Nein, kein Park! Das Meer! Wir setzen uns ans Meer, weißt du eigentlich, wie sehr
ich mich auf das Meer freue?«
In Gedanken sehe ich uns auf einer Bank an der Strandpromenade in der Sonne sitzen
und die salzige Luft der wogenden Brandung einatmen. Man hört das Geschrei der Mö-
wen und das Klappern der Wanten an den metallenen Masten der Segelbote, die sich im
Hafenbecken …
»Achtung, WuLing von hinten!«, reißt Paul mich aus meinen Tagträumen. Die
WuLing-Busse hier in Tibet und China sind eine Art Taxibus, die es meist unglaublich
eilig haben und sich verhalten, als gehöre die Straße ihnen. Statt zu bremsen und vor-
sichtig zu fahren, rasen sie hupend und holpernd um enge Serpentinen in der Annahme,
ihr eventuelles Gegenüber werde bei dem nervtötenden Gehupe klein beigeben. Allzu
oft liegen die Busse im Graben, stehen mit gebrochenen Achsen oder platten Reifen am
Straßenrand oder verrotten irgendwo mit Gras und Felsen dekoriert und ohne Scheiben,
denn sie fahren nicht nur mit übertriebener und ungesunder Eile, sondern sind mit ih-
ren winzigen Rädchen absolut ungeeignet für die kaputten, schlaglochreichen Straßen.
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