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Zwei Tage später kommen wir an einer weiteren zerstörten Stadt vorbei, in der fast aus-
schließlich Mönche leben, sogar die Kinder laufen in Mönchskutte umher. »Meinen die
das im Ernst oder ist das eher eine Art Verkleidung? Es kann doch nicht jedes Kind hier
ein kleiner Mönch sein, wer soll denn dann in der Zukunft für Nachwuchs sorgen?«,
fragt Paul. Aber ich müsste auch jemanden fragen, und das geht jetzt nicht. Wir müssen
weiter.
Als wir erneut den halben Tag im Regen verbracht haben und die Nacht zuvor mit
minus 13 Grad einen neuen Kälterekord aufgestellt hat, sind wir ziemlich glücklich, als
wir gegen Abend in einem winzigen Dorf von Komtjo Tzera eingeladen werden, in sei-
nem Zelt zu schlafen. Seine ganze Familie wird zusammengetrommelt, und so sitzen wir
auf einem bunten Teppich auf dem Boden des Zeltes, das sie nach dem Erdbeben hier
aufgestellt haben. »Bis wir ein neues Haus haben«, betont Komtjo Tzera. Im Laufe des
Abends kommen die Nachbarn und sogar der Obermönch des nah gelegenen Klosters
vorbei, um uns willkommen zu heißen. Wir reden mit ihm in spärlichem Englisch über
die Unterdrückung durch die Chinesen und das alte Tibet, das es so wahrscheinlich nie
wieder geben wird. Mehrmals weist er auf ein in einem Schrein aufgestelltes Abbild des
Dalai Lama und drückt seinen Respekt ihm gegenüber durch nachdenkliches Nicken und
leichte Verbeugungen aus.
Dann wird uns das mit Abstand schärfste Essen aufgetischt, das ich in meinem ganzen
Leben gegessen habe. Es besteht wohl zu mehr als der Hälfte aus roten Chilischoten. Paul
schüttelt sich, keucht, lacht und weint, während er das Yakgulasch mit Stäbchen zu sich
nimmt. Uns wird aufmunternd auf die Schulter geklopft. »Das ist gesund! Ihr seid zwei
starke Männer!« Da können wir natürlich nicht vor aller Augen schlappmachen. Als
Nachtisch wird eine große Plastikschüssel mit gekochtem, kaltem Yakfleisch auf den Bo-
den gestellt, aus der jeder sich mit seinen Händen bedient. Alle sitzen schmatzend und
glücklich im Kreis. Je später die Stunde, desto vertrauter wird die Stimmung, und die
unglaublich süßen Kinder sitzen irgendwann sogar auf unserem Schoß. Der Familienva-
ter behandelt seine Kinder mit so viel Liebe und Respekt, wie ich es selten gesehen habe.
Mir wird richtig warm ums Herz, wenn ich diese Familie sehe, die sich das Lachen und
die Freude am Leben trotz der schwierigen Umstände bewahrt hat.
Erschöpft von dem langen Tag und dem schönen, aber anstrengenden Abend gehen
wir schlafen, in dem Bett des Sohnes, der sich auf dem Teppich der Küche zusammen-
rollt. Unsere Widersprüche werden natürlich nicht akzeptiert, und so fügen wir uns, zu-
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