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Keine zwei Minuten später hält ein Tibeter an und nimmt uns die ersten zehn Kilo-
meter mit. Motiviert beschließen wir, Lkw zu ignorieren und uns auf die schnelleren
Autos zu konzentrieren. Als es dunkel wird, und wir noch immer nicht weitergekom-
men sind, beziehen wir auch die Lkw wieder mit ein und werden prompt von einem
aufgegabelt, der am nächsten Tag um zwölf in Xining sein will. Kaum sitzen wir neben
ihm und sind ein paar Meter gefahren, hält er die Hand auf. »Der will tatsächlich Geld!«,
sagt Hansen. Es ist das erste Mal, dass uns das passiert. Und da wir es eilig haben, sind
wir ziemlich in Bedrängnis. Der Fahrer verlangt 600 ¥ (Yuan) für beide, was nur knapp
weniger ist, als der Nachtbus mit Schlafplatz gekostet hätte, der aber leider zu diesem
Zeitpunkt schon längst abgefahren ist. Ich deute 200, er sagt 500 und bei 400 treffen
wir uns. Immerhin räumen er und sein Kollege uns in ihren Kojen etwas Platz zum
Schlafen frei. Die Fahrt verläuft angenehm, auch wenn der mit Glasscherben beladene
Lkw die Bergstraßen mit ziemlich abenteuerlichem Fahrstil angeht.
Hansen und ich wechseln uns ab mit dem Schlafplatz, und so überstehen wir die
holprige und laute Nacht. In der Morgendämmerung sitze ich vorne, als wir eine endlo-
se, 20 Kilometer lange Gerade fahren. Insgesamt fahren wir an drei Lkw vorbei, die um-
gekippt neben der Straße liegen, einer davon sogar auf dem Kopf. Ich schaue den Fahrer
erschrocken an, aber der grinst nur müde. »Die Idioten sind eingeschlafen«, sagt er. Er
schlägt sich immer wieder selbst in Gesicht und Nacken, um wach zu bleiben. Alle paar
Sekunden schaue ich rüber, aus Angst er könnte auch eingeschlafen sein. Nachdem die
lange Gerade vorbei ist, fährt er dermaßen schnell und ungebremst in die Haarnadelkur-
ven der Serpentinen, verhält sich, als wäre er der Einzige auf der Straße, und hupt, als
wolle er verkünden: Hier komme ich, ich bremse übrigens nicht. Und als ob das nicht
genug wäre, telefoniert er, raucht und schält sich Erdnüsse, während er mit quietschen-
den Reifen an abgrundtiefen Steilhängen vorbeifährt. Irgendwann kann ich mich nicht
mehr zurückhalten und gebe ihm zu verstehen, dass es mir zu schnell sei und er bitte
langsamer fahren soll. Er lacht und schaut entspannt zu mir rüber, während er um die
nächste Kurve quietscht. »Was denn? Mir ist noch nie was passiert«, gibt er mir zu ver-
stehen und zuckt mit den Schultern. Immerhin wechselt er kurze Zeit später mit seinem
ausgeschlafenen Kollegen und legt sich zu Hansen in die Koje.
Um neun Uhr morgens, nachdem nach erst 600 von 860 Kilometern absehbar ist,
dass wir es niemals bis zwölf schaffen, fragen wir ihn nach der geschätzten Ankunftszeit.
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