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Je später es wird, desto neugieriger sind die vorbeifahrenden Autofahrer. Sie spornen
uns an, schenken uns Kaugummis und laden uns ein, mit ihnen zu trinken. Aber im
Kampf gegen die Kälte und die Steigung des letzten Passes vor Yushu haben wir keinen
Sinn für Ablenkung. So kämpfen wir uns durch die mittlerweile vom Mond erhellte Ber-
glandschaft. Die Müdigkeit der vorangegangenen Tage und Pässe sitzt mir in den Kno-
chen, aber die Aussicht auf klare Verhältnisse lässt mich weiterfahren. Die letzten Serpen-
tinen zwingen mich in die Knie. Immer wieder halte ich an und trinke kleine Schlücke
aus der kalten Wasserflasche, die mittlerweile Eis enthält. Ich versuche, meine leidenden
Bronchien und Finger zu wärmen. indem ich mir die Hände abwechselnd vor den Mund
halte. Die letzten Kurven werden wir wieder von einem wilden Rudel Hunde verfolgt,
bis ein paar Serpentinen unter uns ein Licht angeht und die Kläffer zurückgepfiffen wer-
den.
Endlich, um halb zwei nachts, erreichen wir den Pass, und der Blick im Mondlicht ist
mit Abstand das Kitschigste, was ich seit Langem gesehen habe. Trotz meiner Eisklötze
an Händen und Füßen bleibe ich oben stehen und genieße den unglaublichen Anblick.
Die Passstraße windet sich unter uns in zahllosen Serpentinen neben einem silbern im
Mondlicht schimmernden Fluss ins gut 1000 Höhenmeter abfallende Tal. Der Sternen-
himmel erhebt sich über den vom Mond scharf gezeichneten Konturen der Gipfel bis
über die 40 Kilometer entfernte Stadt Yushu, deren Widerschein in einer riesigen leuch-
tenden Sphäre am Horizont steht.
So schön die Sicht war, so gnadenlos und endlos windet sich jetzt die Straße vor uns
an steil abfallenden Felswänden entlang. An besonders kritischen Stellen ist sie durch
Steinmauern abgegrenzt, die mehrfach von in die Tiefe gestürzten Lkw durchbrochen
sind. Meine Hände krallen sich mit aller Kraft an die kalten eisernen Bremsen. Wenn ich
sie nur kurz loslasse, sticht es in den Gelenken und das Fahrrad beschleunigt so stark,
dass ich wenige Sekunden später wieder mit aller Kraft daran ziehe. Es ist kalt genug, um
sich Erfrierungen zu holen, aber hier oben ist es gute zehn Grad kälter als im Tal, in das
wir hinabfahren, und so beißen wir die Zähne zusammen und rollen wortlos die endlose
Passstraße hinab. Als es endlich flacher wird, schlagen wir vor einem kleinen Steinbruch
das Zelt auf. Meine Finger tauen langsam auf, und ein stechender Schmerz breitet sich in
den Händen aus. Es tut weh, die Heringe in den steinigen Boden zu stecken, jede fein-
motorische Bewegung ist kraftlos und unpräzise. Schnell werfen wir unsere Schlafsäcke
ins Zelt und verkriechen uns darin. Als mich langsam eine wohlige Wärme umarmt,
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