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einen dermaßen heftigen Wutanfall nehme. Ich habe mich noch nie in meinem Leben so
außer Kontrolle erlebt.
Hansen ist ebenfalls baff und sucht Deckung hinter dem Brückenpfeiler. »Paul, drehst
du jetzt durch?«, fragt er vorsichtig, und ich brülle ihn an: »Na, wonach sieht's denn
aus, du Schlauberger, du Wir-Schaffen-70-Kilometer-und-drei-4600er-Pässe-am-Tag-
Vollidiot! Es ist zum Kotzen. Wir hetzen uns nur noch ab. Hast du etwa noch Spaß?«
»Paul, ganz ruhig, und bleib bitte sachlich. Mir ist doch selbst klar, dass das alles zeit-
lich nicht aufgeht.« Hansen versucht, sich erst gar nicht auf meinen Stimmungspegel
einzulassen. »Wenn du fertig bist mit dem Steinschleudern, können wir ja besprechen,
was wir machen«, sagt er und schaut mich streng an.
Ein paar Stunden später ist der Entschluss gefasst. Wir werden versuchen, den Rück-
flug zu verschieben. Wir brauchen mehr Zeit, es geht nicht anders. Die psychische An-
spannung und physische Entkräftung kostet uns sonst die gesamte Tour. Wir überlegen
uns, was wir alles erledigen müssen, um das Visum ein zweites Mal zu verlängern und
finden heraus, dass es kein Hexenwerk ist. »Nur, den Flug umzubuchen, das könnte teu-
er werden«, sage ich zu Hansen, der neben mir hockt und akribisch unsere Ausgaben in
Listen führt.
Am nächsten Morgen stehen wir spät auf und versuchen, die wesentlichen Fragen zu
klären, die eine Verlängerung unserer Reise mit sich bringt. Ein neugieriger Tibeter hält
an und begutachtet unsere Recherchearbeiten über unsere Schultern hinweg. Wir versu-
chen, mit ihm zu reden, aber er scheint zufrieden damit, neben uns zu sitzen und zuzu-
schauen. Jedes Mal, wenn ein Auto vorbeifährt, winkt er diesem zu und fordert es eben-
falls zum Anhalten auf, als wolle er sagen: »Komm rüber und lerne meine neuen Freun-
de kennen.« So stehen zeitweise fünf Autos auf der Straße und ein Vielfaches an Schau-
lustigen um uns herum. Ich werde mich an dieses Verhalten nie gewöhnen können, und
auch wenn ich mir vornehme, gelassen damit umzugehen, irgendwann bin ich auch
diesmal nach allzu distanzlosem Schulterblicken mit Atmen im Nacken demonstrativ auf-
gestanden und habe mich ein paar Meter weiter hingesetzt. Am Ende des Tages können
wir mittelmäßigen Erfolg verzeichnen. Die Umbuchung des Fluges kostet uns zwar ein
Sümmchen, ist aber finanzierbar, und alles andere fügt sich scheinbar wie von alleine
unseren Plänen. Unsere Erleichterung und die Anspannung, die von uns abfällt, ist unbe-
schreiblich. Die bevorstehende Hetzerei verwandelt sich in einen zwar immer noch straf-
fen, aber umsetzbaren Plan, der nun wahrscheinlich letzten sechzig statt nur noch drei-
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