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30 Meter vor Erschöpfung anhalten. Ich habe mich noch nie in meinem Leben so der-
maßen durchbeißen müssen. Es ist, als würde man durch ein Kissen atmen. Nach jeder
noch so kleinen Etappe bin ich vollkommen außer Atem und brauche ein paar Minuten,
bevor ich die nächsten 30 Meter schieben kann. Das Schlimme ist, dass man sogar nach
dem Anhalten noch weiter in Atemnot kommt, man hat regelrecht das Gefühl zu ersti-
cken. Erst nach etwa einer Minute tiefem Einatmen fängt sich der Kreislauf und hat die
Luft in die von Sauerstoffmangel geplagten Regionen des Körpers transportiert. Dann
kann es weitergehen. Der Gletscher scheint nicht näher zu kommen, und die Strecke
wird zur Kraft- und Geduldsprobe. Nach fast einer Stunde kommen wir völlig erschöpft
am Aussichtspunkt auf 5100 Metern Höhe an.
Diese Sicht wäre mir jeden Kraftakt wert gewesen. Ich hätte Hansen auch hochgetra-
gen, wenn's hätte sein müssen, allein schon, um jemanden zu haben, der diesen Mo-
ment mit mir teilen kann. Jemand, der mich später daran erinnert, dass all das wirklich
wahr ist! Ich bin vor Erschöpfung und vor Begeisterung sprachlos. Hansen auch. Eine
40 Meter hohe Gletscherwand ragt über ein Flussbett und zahllose Endmoränenwälle
auf. An manchen Stellen schießt das in der Sonne glitzernde Wasser aus dem Gletscher
wie durch die undichten Planken eines Schiffes. Der Blick zurück eröffnet eine schier
endlose Sicht über die Weite der Hochebene. Auf der anderen Seite des durch Bäche zer-
furchten Gletschertals sieht man in der Ferne auf einem noch höher gelegenen Hügel ei-
ne Ansammlung tibetanischer Gebetsflaggen im eisigen Wind wehen. Hansen und ich
schauen uns an und haben offensichtlich den gleichen Gedanken: »Lass uns aus unserem
Abstecher einen Umweg machen und über den Hügel da auf unsere Route zurückfah-
ren«, spricht Hansen aus, was wir beide denken. Ich will nichts anderes, zweifele aber,
ob wir die Kondition dazu haben. »Das sind fast fünf Kilometer ohne Straße, und selbst
ohne Fahrräder wäre das anstrengend. Außerdem sind es sicher noch mal über 100 Hö-
henmeter, das wird echt knapp, wenn wir vor Sonnenuntergang noch 500 Meter abstei-
gen wollen.« Ich weiß, dass die Entscheidung bereits mit dem Blick gefallen ist, den wir
uns vorhin zugeworfen haben. Hansen findet auch noch einen Ausweg für meine Be-
denken: »Wenn wir es nicht hoch schaffen, fahren wir einfach durch das Flussbett des
Gletschers zurück ins Tal, dann sind wir wieder auf der gleichen Höhe wie heute Mor-
gen.« Ich stimme zu. Wir schieben unsere Räder vorsichtig hinab ins Gletschertal und
überqueren die zerfurchte Stein- und Hügellandschaft. Ständig muss ich das Rad über
große Felsen heben, so uneben ist der Boden. Schieben ist immer viel anstrengender als
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