Travel Reference
In-Depth Information
»Allerdings. Ich finde, wir haben etwas anderes verdient nach diesem Aufstiegs-
kampf«, gebe ich ihm recht.
Als hätte der Himmel unser Geschimpfe gehört, reißt plötzlich die Wolkendecke auf,
und die Sonne kommt hindurch. Erst zögerlich, dann immer mehr, bis alle Wolken in
Windeseile hinter dem Bergkamm verschwunden sind. Aus der Ferne können wir jetzt
den mit Gebetsflaggen behangenen Pass sehen. Bunt und flatternd, und je näher wir
kommen, desto deutlicher erkennen wir die Tausenden von kleinen Fahnen, die um
einen Opferofen herum an Schnüren im Wind flattern. Obwohl der Pass nur noch weni-
ge Hundert Meter entfernt ist, muss Paul noch mal Pause machen. Sein Herz rase, ächzt
er mir zu, und es dauert ein paar Minuten, bis er sich wieder auf sein Rad schwingt und
mir hinterherfährt.
Ich bin schon da und kann es kaum erwarten, dass Paul diesen Moment mit mir teilt.
4800 Meter! Höher als jeder Berg in den Alpen, höher als alles, was wir jemals erklettert
haben. »Und wir sind mit dem Rad hier«, schnauft Paul. Wir fallen uns in die Arme und
schauen uns andächtig um: Vor uns liegt auf 4500 Meter die Hochebene, die wir durch-
fahren werden, um nach Yushu zu kommen.
»Das gibt's ja nicht«, sagt Paul plötzlich ungläubig und zeigt auf den Opferofen.
»Was die da alles reinschmeißen!« Es ist wirklich unglaublich. In dem Ofen stecken an-
gerauchte Zigaretten, Schnapsflaschen, Obst, Gemüse, Spielfiguren, der Schädel eines
Yaks und Kaugummis. Aber alles so aufgebahrt, dass jedes einzelne Teil ganz bestimmt
als Opfergabe gemeint ist, und nicht, wie man vermuten könnte, als Abfall. Rings um
die Gebetsflaggen herum stehen Statuen, die ebenfalls mit Flaggen geschmückt sind. Vie-
le chinesische Touristen kommen hierher und fotografieren fleißig. Leider ohne jede Art
von Respekt vor den Denkmälern, denn nach dem Fotografieren werden die Rückseiten
der Statuen offenbar gern als Pissoir benutzt. Der gesamte Pass riecht nach Plumpsklo,
und so sehr die Touristen ihre schönen Fotos wollen, so sehr verachten sie den religi-
ösen Platz. »Das ist doch wirklich eine beschissene Respektlosigkeit!«, schimpft Paul. Im
wahrsten Sinne des Wortes. Manche reißen sich hinter den Statuen sogar ein paar Ge-
betsflaggen ab - wozu sie die brauchen, ist ja wohl sonnenklar.
Eigentlich hatten wir geplant, die Nacht etwas weiter unten auf der Hochebene zu ver-
bringen, aber nachdem wir nach ganzen drei Stunden ohne jedes Anzeichen der Höhen-
krankheit auf dem Pass verbracht haben, entscheiden wir, dass es besser ist, unser Zelt
Search WWH ::




Custom Search